Neumonds Schlangenfluch

die ersten 10 Seiten

Wenn ich mich kurz vorstellen darf, mein Name ist Larana. Ich frage mich, wie meine Eltern auf so einen schönen Namen kamen, denn meinem Vater kann man eigentlich nichts recht machen. Schon gar nicht ich. Er ist ein Besserwisser. Ein ungehobelter Klotz ohne Manieren. Wie oft zählte ich die Stunden in denen mein Körper schmerzte, weil er mich am Vortag geschlagen hatte. Es waren unzählige. Und dabei hatte ich nichts getan. Ich hatte ihm, dem obersten Herrscher von Wideva Perditi, eines riesigen Unterweltkönigreichs, nie ein Haar gekrümmt. Als ich 10 war verschwand Mutter plötzlich spurlos. Vater behauptete sie hätte es mit ihm nicht mehr ausgehalten und sei davongelaufen. Zuerst glaubte ich ihm das, doch als wenige Jahre später mein älterer Bruder ebenso spurlos verschwand wie einst Mutter es tat, begann ich mich von meinem Vater zurück zu ziehen. Für jedes Wort, das ich über meinen Bruder und meine Mutter verlor, schlug mich Vater erneut. So ging es weitere zehn Jahre lang Tag ein Tag aus. Bis heute.

 

Wieder einmal war ich auf dem Weg in den großen Thronsaal, mit einem großen Unterschied zu sonst. Diesmal hatte ich eine wichtige Neuigkeit für meinen Vater. Ehrfürchtig sah ich der großen Flügeltür entgegen, die mit jedem Schritt ein kleines Stück näher kam. Als ich endlich vor ihr stand zögerte ich. „Wie Vater wohl reagieren wird“, überlegte ich. Zum Schlagen war ich ihm ja mittlerweile zu flink geworden. Ich klopfte. Die große Flügeltür vibrierte leise unter meinen Schlägen. „Wer dort!?“, schnarrte die dunkle Stimme meines Vaters barsch. „Ich bin es Vater. Eure Tochter Larana!“, erwiderte ich.  – „ Ach Ihr seid es Tochter. Tretet ein!“ Ich öffnete die große Flügeltür und trat in den dahinter liegenden, mit blanken Marmorfliesen ausgelegten Thronsaal. König Perth – Damh der 1., so hieß mein Vater, würdigte mich kaum eines Blickes. Er war über und über mit Papierrollen übersät. Während er die eine Rolle unterzeichnete, lies er sich den Inhalt einer anderen Rolle von seinen Beratern vorlesen. „Bitte fasst Euch kurz mit dem was Ihr zu sagen habt, Tochter. Wie Ihr seht bin ich sehr beschäftigt.“, sagte er. „ Wie Ihr wünscht, Vater!“, erwiderte ich. Die Etikette verlangte an dieser Stelle eigentlich, dass ich vor ihm knicksen sollte, doch mein Stolz untersagte es mir, diesem Trunkenbold diese Ehre zu gewähren. Stattdessen wartete ich ab, bis er wieder neben den Thron griff und sich die Flasche Wein, die dort stand zum Mund führte. Gerade als er angesetzt hatte, platzte es aus mir heraus. „Vater!“, rief ich ihm entgegen, „ Warum sind Mutter und Bruder nicht mehr hier?“ Ich sah wie er die Augen verdrehte, denn er hatte die Angewohnheit seinen Kopf in derselben Art zu bewegen, wenn er es tat. „Ich sagte es Euch doch schon, Tochter, sie sind fort gelaufen. Sie haben mich hier allein gelassen mit Euch, Ihr Rabenbraten!“, erwiderte er schroff und trank noch einen langen Schluck. „Aber warum?!“, brüllte ich ihn an, „ Habt Ihr sie etwa fort gejagt, weil sie die Fähigkeiten hatten, die ich auch besitze?“ Kaum hatte ich meine Worte ausgesprochen, schmiss Vater die Weinflasche, aus der er eben noch getrunken hatte, gegen die Wand. Sie zersplitterte in winzig kleine Scherben und ein dunkelroter Fleck bildete sich auf der Wand zur Rechten des reich verzierten Thrones, auf dem er vor wenigen Sekunden noch gesessen hatte. Seine Berater kauerten vor dem Thron auf dem Boden. Und während ich noch versuchte zu begreifen, was hier soeben geschehen war und dem dunkel roten Wein dabei zusah, wie er von der Wand herab langsam zu Boden rann, packte mich Vater an den Armen und schleuderte mich gegen die Wand, die der mit dem Weinfleck gegenüber lag. Er schmiss mich mit solch immenser Wucht durch den Saal, dass ich mich wunderte nicht geflogen zu sein. Als ich wenige Sekunden später die Wand erreichte, stand er bereits wieder bei mir, packte mich erneut an den Armen und presste mich gegen die Wand. Noch halb benommen vom Schmerz des Aufpralls, spürte ich, wie sich seine langen spitzen Fingernägel wie Klauen eines mächtigen Vogels in meine Haut drückten. Meine Haut brannte wie Feuer und das Blut rann mir an den Armen herunter. Es kümmerte ihn nicht. Er schüttelte mich. „ Von welchen Gaben sprecht Ihr?!?“, schrie er mir wutentbrannt ins Gesicht. Als ich nicht sofort antwortete, schlug er zu. Seine Nägel zogen tiefe Furchen auf meiner linken Wange. „ Ich habe Träume, die in Erfüllung gehen. Träume in denen ich Dinge sehe die bald passieren.“, hauchte ich, „Ich liebe Blut und ich kann meinen Körper einfrieren bis ich in einer Art Trance stecke. Es sieht aus, als wenn ich schlafe doch ich bekomme alles mit. Und ich spüre wenn einem Lebewesen etwas passiert. Ich sehe Bilder in den Herzen der Lebewesen. Ich schlafe am Tag und sehe besser in der Nacht. Der Mond ruft mich in die tiefschwarze Nacht!“ „Nein!“, hörte ich Vater brüllen, „Nein, das darf nicht sein, sperrt sie ein!“ Jetzt begriff ich. Mutter hatte mir etwas vererbt. Diese Gaben hatte sie an mich weitergegeben und mir nie etwas gesagt, um mich vor Vater zu schützen. Ich befreite mich aus Vaters eisernem Griff. Dass seine Klauen mir dadurch nur noch tiefere Furchen in die Arme ritzten, war mir egal. Entsetzt, dass ich seinem Griff entkommen war, starrte er mich an. Noch immer trug er die blinde Wut in seinen Augen. Ich leckte mir über meine Wunden und grinste. „Damit hat Ihre Hoheit wohl nicht gerechnet, was?“, sagte ich, „ Ich bin nicht mehr das kleine Mädchen, das Ihr verhauen könnt wann Ihr es wollt! Und Mutters Erbe bekommt Ihr nicht!“ Wieder versuchte er mich zu fassen. Doch ich wich im richtigen Moment aus, sodass er mit seinem Huschen ins Leere rannte. „Ihr bekommt mich nicht. Weder tot noch lebendig!“, rief ich ihm zu, während ich den Wachen auswich, die in der Zwischenzeit in den Saal gekommen waren, um ihrem Herrscher zu helfen mich einzusperren.

 

Zu meinem Glück waren die Wachen des Palastes nicht gerade die hellsten Lichter in einem Kronleuchter. Also konnte ich ihnen ohne Probleme ausweichen, indem ich einen Schritt zur Seite machte. Bei jedem neuen Anlauf den sie nahmen, wechselte ich die Richtung meines Schrittes. Erst rechts, dann links und noch einmal rechts. Ich drehte mich zwischen den Wachen hin und her, sodass man denken konnte ich würde tanzen. Es war auch eine Art Tanz, den ich über die Jahre entwickelt hatte. Durch die Schläge meines Vaters hatte ich ja genug Zeit zu trainieren und mir immer neue Schrittfolgen auszudenken. Und heute schien mein Tanz der Verwirrung sehr gut zu funktionieren, da ich nach wenigen Bewegungen bereits durch die große Flügeltür entkommen konnte. „Fangt sie!“, hörte ich Vater schreien. Er war außer sich. Doch ich drehte mich nicht um. Ich lief so schnell mich meine Beine trugen. Die Ahnenbilder zischten nur so an mir vorbei. Hinter mir hörte ich die Wachen. Ihre Rüstungen schepperten und die Kettenhemden rasselten wild durch die Flure. Überall war das Echo der schweren Schritte zu hören. Es hallte in meinen Ohren wieder wie ein Trommelschlag. Da der Palast keine Fenster hatte, hingen überall an den Wänden lange Fackeln, daher musste ich in den Kurven der Korridore sehr aufpassen, dass ich mich nicht plötzlich beim Hakenschlagen in Brand setzte. Eine halbe Ewigkeit rannte ich ziellos durch die zahllosen Gänge. Immer auf der Suche nach einem Ausgang. Doch bevor ich eine Tür oder etwas Ähnliches finden konnte, landete ich in einer Sackgasse. Ich drückte mich rücklings so nah ich konnte an die kalte Steinwand und versuchte zu Atem zu kommen. Dann kamen auch schon die Wachen. Bedrohlich stampften sie Schritt für Schritt in ihren metallenen Rüstungen auf mich zu. Ich drückte mich noch weiter gegen die Wand. Plötzlich verlor ich das Gleichgewicht. Die Wachen verschwanden aus meinem Blickfeld und es wurde dunkel um mich herum. Ich hörte ein Klicken und landete unsanft auf meinem Hintern. Was war passiert? Wo waren die Wachen? Und vor allem: Wo war ich gelandet? Ich rappelte mich auf und tastete die Stelle der Wand ab, durch die ich anscheinend gerade gefallen war. Die flach geschliffenen Steine waren feucht und es roch modrig um mich herum. Ich wischte mir die feuchten Hände an meinem Kleid ab und drehte mich einmal um mich selbst. Nichts. Nichts. Wieder Nichts. Kurz bevor ich drohte vor Erschöpfung von der langen Flucht zusammen zu brechen, sah ich in der Ferne einen winzigen Lichtschein. Voller Zuversicht dort bei dem Lichtschein einen Ausgang zu finden, stolperte ich immer weiter geradeaus den Gang entlang, bis ich schließlich in einem großen Raum landete, den ein seltsamer Geruch erfüllte. Ich rang nach Luft. Diese schmeckte zu meinem Entsetzen recht bitter, obwohl Luft eigentlich keinen Eigengeschmack haben durfte. Ein merkwürdiger salziger aber auch bitterer Geschmack lag mir auf der Zunge. Und als ich mich umsah, erkannte ich warum. Die Luft in dem Raum roch und schmeckte nach dem letzten Weg der Lebewesen, die ihn bewohnten. Der bittere Geschmack des Todes. Um mich herum standen verschiedene, karg gestaltete, schwarze Särge. Ich nahm die Fackel, deren Licht mich hierher geführt hatte, von der Wand und näherte mich einem der Särge. Ailios, stand dort in großen Lettern auf dem Sarg vor mir. Meine Großmutter trug diesen Namen, daher musste dies wohl ihr Grab sein. Ich ging weiter zum nächsten Totenbett. Connell. Mein Großvater. Ich befand mich anscheinend in einem Mausoleum. Staub rieselte leise von der Decke des großen Raumes auf mich herab. Als ich empor blickte, sah ich unzählige gut erhaltene Wandmalereien. Ohne den Blick davon abzuwenden, ging ich vorsichtig weiter durch den Raum, bis zu einer schmalen Wendeltreppe. Dann fiel mir plötzlich etwas Seltsames auf. Links neben mir hatte im Licht der Fackel etwas aufgeblinkt. Als ich mich dorthin umwandte, erblickte ich einen weiteren Sarg. Doch dieser war nicht wie all die anderen Särge. Die anderen Särge waren schlicht und schwarz, doch dieser hier war blutrot. Auch die Namenstafel war nicht so wie bei den anderen Särgen. Statt einer einfachen Tafel hatte jemand den Namen direkt in den Sargdeckel graviert. Als ich die Fackel näher an den Sarg hielt, um den Namen lesen zu können, stockte mir der Atem. A – N – D – R –A. Andra! Dort stand doch tatsächlich der Name meiner Mutter. Darum war sie also nie zurückgekehrt. Man hatte sie umgebracht. Ich raffte mein Kleid hoch und raste die schmale Wendeltreppe hinauf. Das Klicken meiner Schuhabsätze auf den kahlen Steinstufen machte mich wahnsinnig. Nach kurzer Zeit stand ich vor einer großen Holztür. Als diese sich trotz Ziehen und Rütteln nicht öffnete, entschied ich mich dazu, mich mit vollem Gewicht dagegen zu stemmen. Ich brauchte drei Anläufe, bis ich endlich durch die Tür nach draußen fiel.

 

Als die schwere Tür endlich mit einem lauten Knarren aufsprang, landete ich mit dem Gesicht voraus im Dreck. Prustend und spuckend rappelte ich mich auf und suchte die Fackel, die ich beim Sturz fallen gelassen hatte. Sie war ebenso in den Dreck gefallen wie ich und ihre Flamme war im Schlamm erstickt. Ich wischte mir den Dreck aus dem Gesicht und sah mich um. Überall Bäume, Grabsteine und Gedenkstatuen. Ein paar Meter weiter schien der Ausgang zu sein, zumindest stand nicht weit von mir ein hohes eisernes Gittertor. Befestigte Gehwege schien es nicht zu geben. Dreckig und verschmiert wie ich war, watete ich durch die Schlammpfützen auf das Eisentor zu. „Warum hat unser Palast einen geheimen Ausgang, der zu einem alten Friedhof führt?“, fragte ich mich.  Fragen über Fragen schwirrten mir durch den Kopf, als ich das hohe Eisentor erreichte. Was war mit Mutter geschehen? Warum hatte Vater mir nie gesagt, dass sie tot ist? Und wo war ich hier? Dieser Ort war mir gänzlich unbekannt. Das dachte ich zumindest, doch als ich Schritt für Schritt die Straße zur nahe liegenden Stadt entlang ging, kamen in mir merkwürdige Bilder hoch. Ich sah mich und Mutter, wie wir am Rand eines großen Springbrunnens saßen. Um uns herum standen Bäume und Sträucher in voller Blüte. Es musste ein sehr heißer und sonniger Tag gewesen sein, denn ich trug ein kurzes Kleidchen und einen blauen Sonnenhut, der mir anscheinend viel zu groß gewesen war, denn ich sah wie er mir immer wieder ins Gesicht rutschte und Mutter lachte. Dann wurde es plötzlich dunkel, so als hätte irgendwer einfach eine Schere genommen und meine Erinnerungen zerschnitten. Ich schüttelte den Kopf und schaute mich um. Ohne es zu merken, hatte ich anscheinend bereits die Stadt betreten, denn die breite Straße war einem etwas schmaleren Weg aus Kopfsteinpflaster gewichen und rechts und links erhoben sich dicht an dicht viele verschiedene alte Häuser. Manche waren nur noch Ruinen, doch es war einwandfrei zu erkennen, dass es einmal recht edle Gebäude gewesen waren. Als ich an einem Gebäude vorbeiging, das anscheinend mal eine Bäckerei gewesen sein musste, ging ich näher heran und spähte durchs Fenster. Oder zumindest durch das klaffende Loch, wo einmal ein Fenster gewesen war. Es roch nach verbranntem Holz und Mehl. Mehl? Ich stieg durch das Loch und bahnte mir einen Weg durch umgekippte Tische und verbrannte Dachbalken. Tatsächlich. Im hinteren Teil der Bäckerei bewegte sich etwas. Ich schlich näher heran und spähte durch einen leeren Türrahmen in den hinteren Teil des Hauses, wo ich die Backstube vermutete. Im Gegenteil zum Vorraum schien hier noch alles weitgehend intakt zu sein. Unter dem hohen Ofen an der mir gegenüber liegenden Wand hatte jemand ein Feuer entfacht. Dieser Jemand öffnete gerade in diesem Moment die Feuerschutztür des Ofens, die den Raum vor Funkensprüngen schützen sollte und schob mit einem langen Schieber ein Blech in den Schlund des Ofens. Danach schloss er die Ofentür wieder und stellte den Schieber zur Seite. Seltsam war nur, dass dieser junge Mann gar nicht aussah wie ein Bäcker. Für einen Bäcker trug er viel zu edle Kleider. Was also suchte er hier. Er ging zu einer kleinen Wanne in einer Ecke des Raumes und steckte seine Hände hinein. Dann drehte er sich plötzlich in meine Richtung um. Seine Hände waren tropfnass. „Wer seid Ihr?“, fragte er mich. Doch seine tiefe Stimme klang nicht erschrocken, wie ich es vermutet hatte. Nein, er sprach mit mir, als würde er dieses mit Schlamm überzogene Wesen vor sich nicht zum ersten Mal zu Gesicht bekommen. Ich trat weiter in den Raum hinein. Von meinem Kleid fielen immer wieder kleine Schlammbrocken auf den Boden. Im Licht des Feuers musste ich einfach grässlich aussehen. Doch anstatt weitere Fragen zu stellen oder sich zu ekeln, nahm der junge Mann die kleine Wanne, in der er sich zuvor die Hände gewaschen hatte und stellte sie vor mir auf einen kleinen Holztisch, der nicht weit vom Ofen entfernt stand. „Ihr saht bestimmt nicht immer so grauenhaft aus. Bitte, wascht Euch erst einmal diesen Schmutz vom Gesicht, damit ich sehe, mit wem ich die Ehre habe.“, sagte er ruhig und zeigte auf die kleine Wanne. Ich ging näher an den Holztisch heran und tauchte meine Hände ins Wasser. Dann formte ich mit ihnen eine kleine Schüssel und schüttete mir das darin gesammelte kalte Wasser übers Gesicht. Es war ein schönes Gefühl zu spüren, wie der Schmutz Stück für Stück wich und mein Gesicht zu seiner gewohnten Schönheit zurückkehrte.

 

 

©Sabrina Goebel



Dies ist eine mit page4 erstellte kostenlose Webseite. Gestalte deine Eigene auf www.page4.com
 
nightflower 0