-Wie alles begann-
Ich wusste nicht, was mich in dieser eiskalten Winternacht dazu gebracht hatte, hier draußen im Wald spazieren zu gehen.
Der Wind pfiff nur so um mich herum. Er zerrte an meiner Kleidung und schob mich vor sich her.
Gerade so, als wollte er mich irgendwo hinführen.
Nachdem ich seinem Willen nun schon eine gefühlte halbe Stunde Folge leistete und kreuz und quer durch den riesigen Nadelwald meiner Heimatstadt lief,
kam ich an einen breiten Fluss.Unter der Macht des Windes trieben die glasigen Eisschollen wie kleine Boote an mir vorbei.
Immer wieder schlugen sie ungestüm gegen das steinige Ufer.
Zuerst dachte ich mir nichts dabei und ging ruhig am Ufer entlang während ich ihrem Treiben zusah.
Fasziniert lauschte ich dem Knistern und Knacken wenn sie gegen die Ufersteine schlugen.
Es hätte so schön sein können wäre da nicht dieses schier Herz zerreißende Jaulen und Quieken gewesen, das sich unter die Naturgeräusche mischte.
Es folgte höhnisches Gelächter, dass mir durch Mark und Bein ging.
Ohne nachzudenken, rannte ich in die Richtung aus der die Geräusche kamen und traute meinen Augen nicht.
Am steinigen Flussufer lagen zwei leblose Tierkörper.
Ihren Tod markierten deutlich sichtbare Blutspuren am Rand der zerborstenen Eisschollen im bewegten Wasser.
Wieder erklang das Jaulen und Quieken. Ich wandte mich von den dampfenden Tierkadavern ab und ließ meine Augen die Gegend absuchen.
Mein Blick fiel auf vier düstere Gestalten in langen blauen Kapuzenumhängen.
Sie hatten sich im Kreis aufgestellt und schienen ein Lebewesen in den Händen zu halten, das ihnen zu entkommen versuchte.
Als ich mich näherte,erkannte ich, dass es das Jungtier der beiden Tiere vom Fluss sein musste.
Es ähnelte ihnen bis aufs kleinste ihrer Blut verkrusteten Haare. Eine der Gestalten hielt das kleine Wesen fest in seinen mit blauen Handschuhen bezogenen Händen.
Auf ihnen prangte eine seltsame schnörkelige Verzierung, ähnlich einem gewundenen Band an dem ein Sichelmond hing.
Noch während ich die Verzierung betrachtete, bewegte sich die Gestalt ihr gegenüber bedenklich. Ein schmales Klappmesser blitze auf.
Die vermummte Person drehte es blitzschnell in der Hand herum und schnitt damit dem Tier in den linken Hinterlauf.
Noch bevor ich wusste was ich tat, brachte ich die Gestalt zu Fall und entriss ihr das blutige Messer.
Zwei der anderen Individuen versuchten mich von ihr weg zu zerren und schlugen mir gleichzeitig in den Bauch und ins Gesicht.
Wahrscheinlich dachten sie so könnten sie mich am Einfachsten ausschalten.
Doch statt zusammenzubrechen drehte ich geistesgegenwärtig das Klappmesser nach außen und zückte zur selben Zeit mein eigenes Taschenmesser.
Dieses trug ich zu meinem Schutz immer offen in meiner Jackentasche mit mir herum. Zuerst schlug ich mit den Klingen nur um mich um sie von mir fern zu halten.
Diverse Male erwischte ich die Täter an ihren Beinen und Händen. Selbst Schuld, das sie wieder und wieder versuchten mich zu packen.
Kaum war ihr Kreis gebrochen, rannte ich auf die letzte Person zu.
Sie war gerade dabei sich, mit dem Jungtier in den Händen, immer weiter von der Gruppe zu entfernen.Hinter mir hörte ich wie die anderen drei wutschnaubend die Verfolgung aufnahmen.
Immer wieder brüllten sie ihrem Gefährten zu, dass er schneller laufen und die Beute loswerden sollte.
Doch noch bevor er verstanden hatte, was sie von ihm wollten, stand ich schon bei ihm und hieb ihm mit dem Klappmesser seines Gefährten in die rechte Hand.
Mit einem grellen Schmerzensschrei ließ er das Jungtier los und starrte entsetzt auf das Messer, das in seiner rechten Hand steckte.Blitzschnell wickelte ich das blutige Jungtier in meinen Schal, presste es mit einer Hand fest an meinen Bauch und rannte los.
In der anderen Hand hielt ich noch immer mein Taschenmesser, bereit es den Gestalten noch einmal in die verdorbenen Körper zu rammen. Das kleine, mittlerweile schon bluttriefende Schalbündel vor meinem Bauch, winselte kläglich. "Halt durch... ", keuchte ich atemlos und lief noch einen Schritt schneller.
Kaum hatte ich es ausgesprochen, schwieg das Tier und zitterte nur noch stumm vor sich hin. Dann erreichte ich endlich das alte Haus in dem ich lebte.
Eine entfernte Tante hatte es mir vererbt bevor sie für immer ging. Andere würden einen Haufen Geld bezahlen um ein solches Haus ihr Eigen zu nennen
.
Ich hatte den Vorteil, dass es seit der Stadtgründung im Familienbesitz war. Somit rettete mich ein alter Vertrag vor allen Kosten.
Zugegeben es war ziemlich heruntergekommen, aber bewohnbar. Die äußere Fassade war das Einzige was wirklich zerstört war aber innen war es nicht schlecht.
"nicht schlecht" ist dabei bei weitem nicht ausreichend formuliert.
Eilig schloss ich die schwere Holzeingangstür auf und huschte ins Haus.
Erst als ich sie von innen wieder fest verrammelt hatte, wurde ich mir meiner Angst bewusst.
Mein ganzer Körper zitterte und zuckte. Vor allem meine Beine.Stark keuchend sank und mit dem Rücken zur Tür, sank ich zu Boden.
Nur für einen kurzen Moment saß ich einfach nur da und versuchte mich zu sammeln.
Doch die Ruhe war schnell wieder vorbei, denn das Bündel vor meinem Bauch begann zu strampeln.
Also eilte mit ihm in die Küche und legte es dort auf den Esstisch.
Sofort bildete sich eine Pfütze aus Blut und Schneewasser. Als ich ein Mittel gegen Wunderkrankungen und Verbandszeug geholt hatte,
war das Jungtier bereits dabei sich aus dem Schal zu wühlen. Der kleine Kopf schob sich so lange vorwärts, bis es mich ansehen konnte.
Seine kugelrunden blau-grünen Augen starrten mich flehend an.
"Das wird jetzt etwas wehtun, aber es wird helfen. Vertrau mir. ", sagte ich mit beruhigender Stimme zu ihm und begann vorsichtig die Wunde zu reinigen.
Kein Schnappen, kein Kratzen. Das Jungtier lag still da und ließ mich ohne zu zögern die Wunde behandeln.Erst nachdem ich auch den Verband am Hinterlauf befestigt hatte,kam es wieder in Bewegung.
Jedoch nicht böswillig, sondern eher dankend. Es robbte auf mich zu und leckte mir die Hand.
Danach gähnte es und schlief erschöpft ein. Sein Atem war flach doch er normalisierte sich schnell.
Nach etwa einer halben Stunde, nahm ich das arme Tier vom Tisch und ging mit ihm in mein Schlafzimmer.
Dort legte ich es in einen alten Wäschekorb in dem bereits ein ebenso altes Oberteil von mir lag und deckte es mit einem der Ärmel zu.
Kaum zugedeckt kuschelte sich das kleine Wolfsjunge tiefer in das Oberteil und fiepte zufrieden.Dann fiel mein Blick auf mein Spiegelbild.
Im großen Goldrandspiegel an der Zimmerwand sah ich, dass meine einst blaue Kleidung vorne vom Blut des Kleinen komplett rot eingefärbt war.
Ebenso zog es sich durch mein Gesicht und über meine Hände.Teilweise war das Blut des Tieres dort schon in den unterschiedlichsten Rottönen eingetrocknet.
Ich streifte die klebrigen Sachen ab und ging ins Bad um mich zu waschen. Später sah ich noch einmal nach dem kleinen schlafenden Wolf.Als ich diesen allerdings ruhig und friedlich schlafend vorfand, ließ auch ich mich erschöpft aufs Bett fallen und schlief sofort ein.
Mitten in der Nacht, das Zimmer war in das unheimliche Licht des Vollmonds getaucht, riss mich eine Bewegung vor meinem Bett aus dem Schlaf.
Aus Reflex sprang ich auf und sah hinüber zum Wäschekorb. Er lag der Länge nach auf der Seite.
Das Oberteil war zerwühlt und zur Hälfte aus dem Korb gerutscht.
Hastig rutschte ich näher an das hölzerne Kopfende meines Himmelbettes und machte mich so klein wie möglich.
Vor dem Fußende schnaufte es tief und beängstigend. Nur Sekunden später erhob sich ein riesiger behaarter Klumpen langsam vom Boden.
Das lange Fell schimmerte im Mondlicht wie ein schwarzer Diamant. Ich erkannte einen mächtigen Wolfskörper.
Dessen Rücken war so lang, dass ich mich ohne Probleme hätte darauf zum Schlafen legen können.
Und dieses riesige Tier stand nun quer vor meinem Bett und sah mich mit seinen saphirrot schimmernden Augen an.
Ich war wie erstarrt. Was würde der Wolf tun? Würde er mich angreifen? Nein. Er stand nur da und blickte mich unverwandt an.
Nach einer Weile stellte er sich direkt in das helle Licht des Mondes und hob seinen linken Hinterlauf.
Als ich nicht verstand trat der Riesenwolf noch etwas weiter in das Mondlicht und wiederholte die Geste.
Da erkannte ich erkannte meinen Verband. Wie ein unnützer Faden ringelte er sich um sein Bein und ließ nicht los.
...Fortsetzung folgt
©Sabrina Goebel