Zauberkeks
Es war einmal ein junges Mädchen namens Kira.
Sie lebte in einem weit entfernten Land, noch viel weiter von uns entfernt als wir uns vorstellen können.
Ich fand dieses Land nur durch einen Zufall auf einer meiner langen Reisen und war erstaunt,dass mich Kira kurz nach meiner Ankunft bereits zu sich nach Hause einlud. Hätte ich da schon gewusst was ich mit ihr erleben würde, ich weiß nicht ob ich mitgegangen wäre.
Doch jetzt denke ich, wäre ich es nicht, hätte ich keine solch amüsante und abenteuerliche Weihnachtszeit gehabt.
Wir gingen viel spazieren, tobten durch den tiefen Schnee und lachten den ganzen Tag. Jeder Tag mit diesem kleinen blonden Mädchen war wie ein Traum.
Bis wir eines schönen Tages hinaus gingen um einen Schneemann zu bauen...
Er war sehr schön geworden, unser Schneemann. Wie er da so stand, mitten im Schnee mit seiner Karottennase, Kiras rotem Schal, meiner blauen Mütze und den großen Knöpfen auf dem Bauch.
Doch uns fehlte das Grinsegesicht. Kira lief in einen nahe gelegenen Tannenwald um nach Steinen zu suchen.
Ein paar Minuten später, es hatte wieder leicht angefangen zu schneien, kam sie zu mir zurück und gab mir wunderschöne bunte Steine.
Zwei blaue für die Augen und ein paar rote für den Mund.
Ich drückte sie dem Schneemann ins Gesicht und sah ihn mir noch einmal an. Jetzt war er perfekt.
Als ich dann allerdings zu Kira hinunter sah, fiel mir auf, dass sie noch etwas festhielt, von dem ich mir sicher war, dass sie es zuvor noch nicht bei sich hatte.
" Was hast du denn da, Kira?", fragte ich sie stutzig.
Die Kleine sah zu mir hoch und reichte mir ihren Fund. "Hab ich gefunden...", sagte sie mit ängstlichem Blick.
Es war ein schmales Büchlein. Gebunden in roten Samt und eingefasst in silberne Metallbeschläge.
Als ich es aufschlug erblickten meine Augen goldene Seiten, die so fein waren, dass nur Kinderhände sie festhalten konnten.
Mit großer Vorsicht blätterte ich die erste Seite um und versuchte die kunstvolle Schrift im Inneren zu entziffern.
Keine Chance. Die seltsamen rot-grünen Zeichen ergaben für mich einfach keinen Sinn.
Vor lauter Rätselei bemerkte ich erst gar nicht, dass Kira bereits direkt vor mir stand. Umso erschrockener war ich daher, als ihre kleine niedliche Knubbelnase plötzlich am oberen Rand des Büchleins auftauchte. Vor Schreck ließ ich das Büchlein in den tiefen Schnee fallen.
Kira bückte sich sofort um es aufzuheben. Was dann geschah war einfach unglaublich. Kaum berührte die Kleine das Büchlein ohne ihre Handschuhe, erstrahlte es in gleißend hellem Licht. Sie schlug es ebenfalls auf und blätterte auf die zweite Seite. Ich sah wie ihre blauen Augen in den Zeilen versanken und nach und nach ihren ängstlichen Blick verloren. Mit einem Mal war dieses kleine stille Kind von einer Freude erfüllt, die ich noch nie erlebt hatte. "Du kannst dieses Gewirr tatsächlich lesen?", fragte ich sie neugierig. "Ja.", antwortete sie, "Es ist ein Backbuch." Mit diesen Worten nahm sie mich bei der Hand und zog mich hinter sich her ins Haus.
Eilig schloss sie hinter uns die Tür, streifte ihre nassen Sachen ab und lief in die Küche.
Nachdem auch ich meine nassen Sachen beiseite gelegt hatte, folgte ich ihr.
Das Büchlein zwischen einem Haufen Backzutaten auf dem großen hölzernen Küchentisch ausgebreitet, fand ich sie laut vorlesend vor.:
"Knusperflocken, Sprutzelbrocken
können alle Kinder locken.
Drum erschuf ich dieses Buch
worin man fein Gebäcklein such.
Ob Kekse oder Kuchen auch,
zur Weihnacht ist so vieles Brauch.
Doch Bäckerlein, gib fein Acht,
sonst hast du schnell etwas falsch gemacht.
Lies behutsam das Rezept,
nicht , dass der Lebkuchenmann noch steppt.
Gibt es dennoch ein Problem,
so backe rasch den Zauberkeks
dann komme ich um nachzusehen."
Staunend setzte ich mich zu ihr an den Küchentisch. Zusammen mischten wir das erste Rezept in einer roten Schüssel vor ihrer Nase und kneteten den Teig zu einem großen Ball zurecht. Diesen hoben wir dann gemeinsam aus der Schüssel und rollten ihn auf der Tischplatte aus. "Was es wohl mit dieser seltsamen Warnung auf sich hat...", dachte ich bei mir und beobachtete Kira dabei, wie sie behutsam kleine Männchen formte und diese sorgfältig auf einem bereitstehenden Blech verteilte.
Die innere Ruhe, die sie dabei ausstrahlte, war beeindruckend. Eben noch total verängstigt arbeitete sie nun mit glänzenden Augen vor sich hin als täte sie keinen Tag etwas anderes.
Als sie fertig war schob ich das Blech in den vorgewärmten Holzofen hinter uns und schloss die Ofentür.
"So, jetzt müssen wir warten...", sprach ich sanft. Kira nickte und begann den Tisch sauber zu machen. "Genau 1 Stunde.", erwiderte sie in bestimmten Tonfall.
Nach ein paar Minuten schon sah die Küche aus als wäre nie etwas geschehen. Wir setzten uns zurück an den Tisch und redeten bei warmem Kakao und Lebkuchen über dies und das.
Bis plötzlich aus dem Nichts eine dritte Stimme im Raum erklang und sich ins Gespräch einmischte.
"Bei allen brennenden Kohlen dieser Welt, lass mich hier raus!", brüllte die Stimme in den Raum hinein.
Wir sahen uns gegenseitig fragend an. "Wirds bald!", donnerte es wieder. Jetzt war klar woher die Rufe kamen...
Und zwar direkt aus dem Holzofen.
Sprungbereit und mit großen gehäkelten Topflappen bewaffnet näherten wir uns dem heißen Ofen.
Schweißperlen rannen mir übers Gesicht als ich den Griff des Ofens fasste. Den anderen Arm ausgestreckt um Kira vor der austretenden Hitze zu schützen, öffnete ich die eiserne Ofentür. Beherzt fasste ich das Eisenblech und stellte es eilig auf die Herdplatte des Ofens.
Nachdem die Tür wieder geschlossen war, zeterte die Stimme erneut. "Das war aber höchste Zeit! Mit wem habe ich denn das Vergnügen?"
Fassungslos starrte ich das Blech vor mir an. Da stand doch tatsächlich eines von Kiras braunen Lebkuchenmännchen aufrecht mitten auf dem Backblech und polterte lautstark vor sich hin.
Das kleine, von Kira zuvor fein säuberlich handgeschnitzte, Gesichtchen zu einer düsteren Grimasse verzogen stand es da und funkelte uns an.
Als wir beide begriffen hatten wer da mit uns sprach konnten wir uns nicht mehr zurück halten. Was folgte war ein ausgiebiger Lachanfall.
Unter Tränen sah ich zu wie Kira sich den kleinen Kerl schnappte und nah vors Gesicht hielt.
Ihr süßes Lachen verschwand von einer zur nächsten Sekunde. Es wich einer finsteren Miene, wie ich sie bei einem Kind niemals zuvor gesehen hatte.
Wie versteinert blickte sie das Männchen in ihrer Hand an. Erstrecht mit der Gewalt ihrer Stimme als sie nun anfing mit der kleinen Gestalt zu reden hatte ich nicht gerechnet. "Jetzt hör mir mal zu du Mickerling,", polterte sie los, "Es sind nur noch 21 Tage bis Weihnachten und ich lasse mir meine Weihnachtszeit gewiss nicht von einem knurrigen Lebkuchenmann wie dir kaputt machen, du Gernegroß!"
Das Lebkuchenmännchen protestierte.: "Unerhört! So spricht man nicht mit einem General der 1. Division. Du bist anmaßend, junge Dame. Und mit Verlaub wie wäre Eure Laune wenn Ihr erst fast verbrennt und dann ohne Kleider von zwei Weibsbildern angegafft würdet!" -" Gewiss nicht so miesepetrig wie Eure, General von und zu. Für Kleider für Euch und Eure Kameraden kann ich sorgen, doch im Gegenzug werdet Ihr Eure Laune überdenken. Der Geist der Weihnacht besteht nämlich darin Frieden und Freude zu verbreiten wie auch anderen zu helfen und nicht sie von einem Backblech aus anzuschreien. Nur wenn Ihr dies beherzigt, dürft Ihr hierbleiben."
Der General kam ins Grübeln.
Widerwillig stimmte er schließlich zu und wirkte jetzt ganz kleinlaut, fast schon bedrückt.
Nur wenige Minuten nachdem Kira sich mit ihm an den Tisch gesetzt hatte, stand er schon frisch verziert mit Abzeichen aus kleinen Streuseln und einer Uniform aus grünem Zuckerguss auf der Tischplatte und betrachtete sich. Zufrieden nickte er Kira zu und pfiff einmal kurz in Richtung Backblech.
Sofort erhoben sich auch die restlichen Männchen vom Blech und hüpften fröhlich juchzend kreuz und quer durch die Küche, hin zu ihrem General.
Ich traute meinen Augen nicht mit welcher Hingabe Kira sich jedem einzelnen widmete. Schließlich hatte der General ein 20-köpfiges Gefolge.
Erst nach dem letzten ergriff Erschöpfung Besitz von ihr und sie schlief noch am Tisch ein. Behutsam hob ich die Kleine vom Stuhl und trug sie in ihr Himmelbett. Zurück in der Küche bat ich noch die Lebkuchenmännchen um Ruhe, dann legte ich mich selbst ins Bett.
Am nächsten Morgen weckte mich Kira voller Aufregung mit einem heissen Kakao.
Sie war so aufgeregt, dass ihre kleinen Hände ihn beinahe verschütteten. Eilig zog ich mich an, nahm Kira die Tasse ab und folgte ihr in die Küche.
Schon beim Betreten fiel auf, das sich über Nacht einiges verändert hatte. Überall hingen Girlanden aus Tannenzweigen. Es roch nach Wald und frisch gekochtem Kakao. Der Ofen war bereits neu mit Holz bestückt worden und brannte innerlich lichterloh als ich kurz hinein sah.
Ich nahm einen Schluck aus meiner Tasse und sah durch das kleine Küchenfenster hinaus.
Der Tag war grau und es schneite mal wieder. Das Fenster war von außen mit winzigen Eiskristallen überzogen. Jeder einzelne funkelte im Licht der Kerzen, die in der Küche angezündet worden waren, wie ein Diamant.
Inmitten dieses ganzen Treibens saß Kira und grinste mich freudig an.
Sie sah so niedlich aus mit ihrer Knubbelnase zwischen den vor lauter Wärme geröteten Pausbacken unter den funkelnden blauen Augen.
Stolz präsentierte die Kleine mir ein kleines handgeflochtenes Holzkörbchen. In dessen Inneren war eine rote Serviette ausgebreitet auf der sie dampfende Croissants gestapelt hatte. Kaum hatte ich mich an den Tisch gesetzt schleppten zwei Lebkuchenmännchen eines der Croissants quer über den Tisch und legten es auf den Teller vor mir. Verblüfft sah ich zum General hinüber, der auf der Anrichte stand. Diesem war nichts mehr vom Miesepeter des vorigen Abends anzusehen. Im Gegenteil. Triumphierend aber freundlich lächelte er von der Anrichte herüber und überwachte jeden Schritt seiner Kompanie.
Schon erstaunlich wie nur wenige Stunden ein Lebewesen verändern können.
Und so begann der neue Tag in aller Ruhe mit einem köstlichen Frühstück.
Naja zumindest fast. Woher sollte ich auch wissen, das Kira sich bereits um das zweite Rezept gekümmert hatte während ich schlief...
Mit einem lauten "Rumms" knallte plötzlich die Ofentür auf den Fliesenboden. Sie war nicht etwa aufgeklappt, nein, aus der Verankerung gerissen war sie. Zutiefst erschrocken sprang ich von meinem Platz am Tisch auf und presste mich gegen die Wand.
Im Schock den Blick weiter auf den Ofen gerichtet, sah ich sie schon tanzen, die kleinen Sterne der Benommenheit. Die Sternchen tanzten durch die Luft, lachten und spritzten mit warmer Milch.
Moment mal. Solche Sterne tanzen zwar aber sie haben nicht zu lachen oder gar mit Milch zu spritzen.
Vorwurfsvoll sah ich zu Kira hinüber, die sofort schuldbewusst zu Boden sah. "Wenn die Lebkuchenmänner schon so zappelig sind wollte ich unbedingt wissen was das Spritzgebäck macht. Tut mir Leid.", murmelte sie vor sich hin. Scheinbar erwartete sie jetzt ein riesiges Donnerwetter mit schweren Folgen, so wie sie sich auf ihrem Sitzplatz zusammenkauerte. Was dieses kleine Mädchen in seiner Vergangenheit erlebt hatte musste ein Albtraum gewesen sein.
Erst als ihr auffiel, dass sie von mir nichts dergleichen zu erwarten hatte, traute sie sich ihren Kopf wieder zu heben.
Die Verwirrung stand ihr buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Um ihr die Angst zu nehmen empfing ich ihren Blick mit einem wohlwollenden Lächeln.
Genau in diesem Moment flog ein Spritzgebäckstern vor meiner Nase entlang. Sein freches Kichern verleitete mich dazu ihn zu fangen und mir in den Mund zu schieben. Das Essen an sich stellte sich allerdings als schwieriger heraus als ich gedacht hatte. Noch in meinem Mund flogen seine Bruchstücke von rechts nach links, von oben nach unten und zurück. Mit großer Mühe musste ich mir den Mund zuhalten damit er nicht wieder entwischte.
Ich kam mir zwar bescheuert vor aber das glockenhelle Lachen, das Kira mir nun schenkte war es mir allemal wert. Denn das hieß ihre Angst war verflogen.
Kurze Zeit später versuchte sie selbst einen Gebäckstern zu erwischen. Auch die Lebkuchen-Kompanie versuchte ihr Glück.
Binnen weniger Sekunden entstand ein riesiges aber auch außerordentlich lustiges Durcheinander.
Inmitten des wilden Treibens schaffte ich es irgendwann in den Küchenschränken Keksdosen zu finden.
Doch das wild gewordene Spritzgebäck einzudosen gestaltete sich ebenso wenig einfach. Du fragst warum? Weil es natürlich nicht an seinem Platz bleiben wollte. Als wir dachten es wäre geschafft trieben sie Sterne es auf die Spitze.
Warum sollten sie auch ruhig liegen bleiben, wenn sie genauso gut mit den Dosen umherfliegen konnten, da sie zusammen mehr Kraft hatten.
Also flogen jetzt, wo es schon wieder Abend geworden war vor lauter Fangenspielerei, 3 lautstark kichernde Blechdosen kreuz und quer durch die Küche.
Bis dem General eine zündende Idee kam. Er versammelte seine Kompanie auf der Anrichte und hob seine kurzen Lebkuchenarme hoch über seinen Kopf. "Kompanie, vortreten und 1, ...2,...3...", schmetterte er im Befehlston.
Was danach kam war unglaublich an Ton und Stimmgewalt. Erst summte die erste Reihe, dann brummte die zweite und wenig später sangen 20 tiefe Männerstimmen im Chor ein wunderschönes Schlaflied.
Es dauerte gar nicht lange schon fiel die erste Blechdose schnarchend vom Himmel. Ich erwischte sie gerade noch so. Die zweite folgte wie aufs Stichwort, nur eine Sekunde später. Nummer drei fing Kira. Erleichtert stellten wir die Dosen in einen Hängeschrank und legten eine Beschwerung darauf.
Das die Nacht vom 4. auf den 5. Dezember uns nicht viel Zeit zur Erholung lassen würde, ahnten wir an dieser Stelle noch nicht.
Mitten in der besagten Nacht riss mich ein schauriges Geräusch aus dem Schlaf.
Immer wieder >poch..., poch....,quietsch...<
Angewidert hielt ich mir die Ohren zu aber es half nichts. Das Geräusch war einfach zu laut.
Schlaftrunken tapste ich zum Zimmerfenster und zog die bunten Vorhänge zur Seite. Gleich darauf erstarrte ich zu Stein.
Ein eiskalter Schauer ließ mir die Nackenhaare aufstehen und machte mich bewegungsunfähig.
Fassungslos starrte ich hinaus. "Der Sch-Sch-Schneemann k-k-klopft ans F-F-Fenster", rauschte es mir durch den Kopf. "Aber wie und vor allem WARUM!?" Ich verstand die Welt nicht mehr.
Als der Schauer verflogen war öffnete ich vorsichtig das Fenster ein Stück, bereit es jederzeit wieder zu zu schlagen. Der Schneemann verzog kurz seinen Steinmund zu einem flüchtigen Lächeln. "Wie kannst du....Warum hast du.....Was geht hier vor?", sprudelte es aus mir heraus "Scht...!", erwiderte er hastig, "Ja, ich lebe und ich rede. Ich würde auch lieber nur dastehen und nichts tun aber ich muss dich warnen. Gerade eben sind Einbrecher durch den Kamin im Wohnzimmer eingestiegen. Sie wollen das Büchlein stehlen. Du musst sie aufhalten bevor sie Weihnachten in Gefahr bringen!"
Meine Augen wurden noch größer. "Einbrecher?! Kira!......Weihnachten in Gefahr? Aber sie können das Büchlein doch gar nicht lesen.", japste ich. Der Schneemann hob warnend den Finger. "Das können sie leider doch. Die zwei Einbrecher sind erwachsen gewordene Kinder, die einst selbst das Büchlein gefunden und benutzt haben. Doch sie haben es für böses gebraucht." Ich spürte wie mich Wut überkam. Ungezogene Kekse waren eine Sache aber Einbrecher, das ging zu weit.
Bis heute habe ich keine Ahnung woher ich die Kraft nahm aber ich riss die Tür meines Zimmers auf und stürmte in die Küche. Dabei kam es wie es kommen musste. Als ich das Büchlein endlich in den Händen hielt, hatte ich die zwei Einbrecher auch schon am Hals.
Das Kira nicht vom Gerumpel und Gepolter in der Küche geweckt wurde war ein wahres Wunder. Immerhin war die Küche ein reines Schlachtfeld nachdem ich die zwei Nervensägen endlich siegreich vertrieben hatte.
Den Rest des darauf folgenden Tages verbrachten wir in völliger Ruhe. Was mitunter daran lag, dass ich ewig gebraucht hatte um wieder Ordnung zu machen und mitten am Tag so tief einschlief, das ich erst am 6. Dezember wieder erwachte...
Der lange Tiefschlaf nach dem Einbruch hatte mir gut getan. Das merkte ich sofort.
Als ich mich strecken wollte staunte ich jedoch nicht schlecht. Aufstehen war zwar eine schöne Idee, gestaltete sich jedoch komplizierter als gedacht. Komplizierter aber irgendwie auch süß. Kompliziert, weil etwas Schweres meinen rechten Arm blockierte und süß, weil dieses Etwas Kira war. Sie musste sich in der Zwischenzeit angekuschelt haben als ich geschlafen hatte.
Da ich es nicht übers Herz brachte mich zu entknoten, blieb ich neben ihr liegen und wartete bis auch sie erwachte. Ich beschloss ihr nichts von dem Einbruch zu erzählen. Stattdessen sollte ihr Nikolaustag der schönste werden den sie je hatte.
Es dauerte gefühlt eine Ewigkeit, bis sie aufwachte.
Danach frühstückten wir, bastelten Weihnachtsdekorationen und verteilten sie überall im Haus. Erst am Nachmittag beschlossen wir das nächste Rezept auszuprobieren. Dieses Mal mischten wir den Teig wieder gemeinsam. Es wurde auch wieder Lebkuchen aber dieses Mal bauten wir daraus eine ganze Stadt.
Wie?-Na mit viel Phantasie. Zusammen schufen wir eine kleine Welt, gerade so groß, das es zur Lebkuchenkompanie passte. Alles wurde bunt verziert mit vielen Smarties, Gummibären, Zuckersternen und Sahnebonbons. Einfach unglaublich. Das schönste waren allerdings die Freudensprünge der Lebkuchenmänner als sie ihre neuen Häuser und die Möbel darin entdeckten. Wir arbeiteten bis spät in die Nacht hinein an den Feinheiten. Jedes Männchen bekam seine eigenen Wünsche mit eingebaut. Das letzte was ich von ihnen und Kira sah waren lachende Gesichter und das verschaffte mir eine weitere Nacht im Tiefschlaf. Aber diesmal mit wunderschönen Träumen...
Da am nächsten Tag die Sonne schien beschlossen Kira und ich hinunter ins Dorf zu wandern um neue Zutaten zu kaufen.
Zum Glück war der Weg ja nicht sehr weit. Dick eingepackt mit Schal und Wollmütze wanderten wir einen kleinen Waldweg entlang.
Um uns herum glitzerte und blinkte es überall. Ich genoss das Knirschen des Schnees unter meinen Stiefeln. Kira hatte mir schon einiges über das kleine Dorf erzählt zu dem wir gingen. Den ganzen Weg über schwärmte sie von den Schnee bedeckten Dächern, den freundlichen Menschen und dem großen Weihnachtsmarkt. Und sie sollte recht behalten.
Die ganzen historischen Häuser waren behangen mit riesigen dunkelgrünen Tannengirlanden. Der gesamte Marktplatz war mit ihnen überspannt.
Wie ein großes buntes Zelt hingen sie über unseren Köpfen. Ab und an fielen winzige Glitzersternchen wie Schneeflocken von ihnen herab wenn der leichte Wind sie schaukeln ließ. Auf dem Marktplatz selbst reihte sich Marktbude an Marktbude. Es gab alles was das Herz begehrte: Schmalzkuchen, Liebesäpfel, Waffeln, heisse Maronen, gebrannte Mandeln ...
Man stolperte nahezu von einem leckeren Geruch zum nächsten. ABER ... und das kannte ich noch nicht, auf diesem Markt konnte man auch gleich Rezepte und Zutaten für alles kaufen was angeboten wurde. Neugierig stöberte ich mich durch die Stände. Es gab wirklich alles. Von Butterkeks bis Kipferl.
Und alles durfte man probieren.
Ich sah Kira kurz an und sie grinste zurück.
Sofort darauf stürzten wir uns auf die Leckereien, bis wir im Gesicht aussahen wie zwei Schneemänner auf Wandertag. Was uns schmeckte kauften wir gleich in Massen. Natürlich mit Rezept. Kira war wirklich vernarrt ins Backen. Genauso wie in Süßigkeiten. Umso lustiger hörte es sich an wenn sie mir irgendwas zeigen wollte. So wie jetzt gerade. "Fmuck mal da", sagte sie kauend und zeigte auf eine Bude mit Kerzen.
Wir gingen näher heran.
Hier gab es wirklich die verschiedensten Arten der schön anzusehenden Flackerlichter. Jene mit Duft zum Beispiel oder jene die selbst verlöschen wenn sie herunter gebrannt sind.
Eine ganze Weile standen wir da und überlegten welche wohl in Kiras Haus passen würden. Ihre waren bereits abgebrannt.
Als es dunkel wurde hatten wir uns 30 rote Kerzen, jede Menge Rezepte und einen Haufen Leckereien besorgt. Achja und Zutaten für mehr von den Leckereien natürlich auch. Das alles schleppten wir nun keuchend den ganzen Weg zurück zu Kiras Haus.
Dort ließen wir uns vollgefuttert und glücklich in unsere Betten sinken. Schließlich hatten wir am nächsten Tag viel vor und dieser Tag war zwar sehr schön aber auch sehr anstrengend gewesen.
Ja, viel zu tun hatten wir am 8. Dezember tatsächlich. Eigentlich war viel noch untertrieben.
In aller Herrgottsfrühe waren wir aufgestanden und hatten angefangen die Rezepte vom Vortag auszuprobieren.
Man konnte sagen Frühstück und Spaß in einem, da wir immer wieder naschten. Die Sachen schmeckten einfach zu lecker um sie links liegen zu lassen.
Gegen Mittag konnte man vor lauter Keksen und anderen Süßigkeiten kaum noch die Küche erkennen. Teilweise hatten wir sogar schon das Wohnzimmer in Beschlag genommen.
Kira meinte es wäre unser eigener Weihnachtsmarkt. Und unrecht hatte sie damit nicht. Mit dieser Ration konnte man bestimmt ein ganzes Dorf versorgen.
Zum Glück gab es in Kira's Haus auch einen Keller. Nachdem ich am Abend endlich das letzte Blech aus dem Ofen geholt hatte, sah ich in Kiras niedlichem Gesicht plötzlich wieder mal dieses verschmitzte Grinsen. "Kira.", sagte ich, "Du hast doch nicht etwa ..." Ihr Grinsen wurde breiter. Ich seufzte.
"Na gut, was ist es diesmal?" "Keine Ahnung.",erwiderte sie, "Es stand nicht dabei was es wird."
Inzwischen stand das Blech auf dem Tisch. Neugierig beäugten wir es und warteten ab ob sich die Plätzchen darauf bewegten.
Als nichts passierte schnappte sich Kira eines der Plätzchen und biss genüsslich hinein. Da veränderte sich der Keks. Statt einem Plätzchen mit bunten Streuseln hielt sie jetzt einen Stern aus Aluminium in der Hand. Staunend sah ich erst Kira dann den Stern und dann wieder Kira an. "Wunschkekse", rief sie freudig aus.
Insgesamt brauchten wir 6 Plätzchen um uns zu vergewissern. Aber es war wirklich real.
Aus dem zweiten wurden wunderschöne Christbaumkugeln. Der Dritte wurde zu einem Strauß Rosen und der Vierte ein Teddybär.
Fünf und sechs waren das Beste. Eins, zwei, drei war der Tisch mit allen erdenklichen Leckereien gedeckt. Anscheinend hatten wir uns beide das selbe gewünscht. Nämlich ein leckeres Abendbrot. Sofort schlemmten wir los. Es schmeckte einfach herrlich.
Die Ente zerging auf der Zunge, die Salzkartoffeln harmonierten mit dem Rahmgemüse und der Soße. Alles war perfekt.
Naja, beinahe zumindest. Kira hörte schon nach kurzer Zeit wieder auf zu essen. Besorgt streichelte ich ihr über die linke Schulter. "Geht's dir nicht gut?", fragte ich. Sie schüttelte den Kopf. "Doch, aber ich muss immer wieder daran denken das etwas wichtiges fehlt." -"Was denn?"
Ihr Augen glitzerten vor Traurigkeit. "Ein Tannenbaum. aber den kann ich mir nicht leisten und um einen im Wald zu fällen bin ich zu klein.", schluchzte sie laut.
Ich schmunzelte. "Wenn es nur das ist, dann holen wir morgen einen schönen großen Weihnachtsbaum für dich und dann schmücken wir ihn zusammen."
Altes vergessen, neues erschaffen.
Das war das Motto am 9. Dezember.
Mit einer Axt und einem langen Seil bewaffnet zogen wir aus, tief in den nahe gelegenen Wald.
Über Stock und Stein marschierten wir querfeldein durch die Hänge. Der Pulverschnee stob auf und segelte durch die Luft wie kleine Wattebäusche.
Jeder Ast den wir streiften ließ eine neue Schneewoge zu Boden rieseln. Erst nach vielem zu groß, zu klein, zu dick, zu dünn fanden wir den perfekten Weihnachtsbaum für Kira. Naja, eigentlich fand aus einem reinen Zufall eher er sie als sie ihn.
Ihre Haare verfingen sich im Ast eines hohen Baumes. Als sie dann versuchte es zu entwirren, stolperte die Kleine über eine große Baumwurzel.
Diese erkannte auch ich erst als solche als es schon zu spät war. Ein riesiger Schneehaufen hatte sie verdeckt. Und so geschah es, das Kira einen Hang hinunter rollte bis auf eine Lichtung. Weit und breit nur ein Baum in Sicht und den traf Kira Hinterteil.
Mit den Beinen am Baumstamm empor blieb sie liegen..
Sofort rannte ich den Hang hinunter um zu sehen ob es ihr gut ging.
Etwas verwirrt nahm sie gerade die Beine herunter und schüttelte den Kopf als ich bei ihr ankam.
zum Glück hatte sie sich nicht weiter verletzt. Ein paar kleine Schrammen im Gesicht hatte sie zwar aber davongetragen aber den Rest ihres zierlichen Körpers hatte ihre dicke Kleidung geschützt.
Noch immer im Schnee sitzend wanderte ihr Blick den Baum hinauf. Sie schaute rechts, sie schaute links.
Als sie festgestellt hatte, dass die untersten Äste vom Stamm bis zur Zweigspitze genau so lang waren wie sie selbst kam sie wieder unter dem Baum hervor und beäugte ihn noch einmal von außen. "Das ist er!", quiekte sie schließlich aufgeregt.
Eine ganze Weile schlug ich mit der Axt auf den Baum ein.
Wie froh ich doch war als er endlich mit einem lauten "Krrracks" zu Boden fiel. Ich konnte gar nicht so schnell gucken wie Kira das Seil um den Stamm und ein paar Äste schlang und ein Tragegestell knotete. Wir zogen und zogen doch das Monstrum bewegte sich keinen Zentimeter. Egal wie viel Euphorie wir hinein steckten der Baum blieb an Ort und Stelle.
Welch ein Glück, dass zufällig ein Reiter vorbeikam. Bei näherem Betrachten stellte sich heraus, das es einer der Bauern aus dem Dorf war und er ritt auch nicht sondern fuhr mit einem Pferdegespann. Seine eigenen Pferde machten ihn auf uns aufmerksam.
Ohne ein Wort zu verlieren spannte er seine zwei Zugtiere ab und befestigte den Baum im Zuggeschirr.
Staunend sah ich ihm zu wie er Kira danach kurzerhand auf eines der Zugpferde setzte. "Er heißt Horus.", sprach der alte Bauer, "Die zwei sind die stärksten Zugpferde weit und breit. Ihr habt echt Glück, dass ich gerade vorbei gekommen bin." Ich nickte zustimmend.
Normalerweise kannte ich es, dass man Zugtiere bei so etwas von Hand führte aber seine Pferde schienen anders zu sein.
Wenn er los lief taten sie es auch. Blieb er stehen hielten auch die Pferde an.
Mit seiner Hilfe war es ein leichtes den riesigen Baum zu Kira nach Hause zu bringen.
Nur leider kam da bereits das nächste Problem. Er passte nicht ins Haus.
Traurigkeit machte sich auf Kiras Gesicht breit. Da kam dem Bauer eine Idee. "Warum stellen wir ihn nicht hier auf. Hier hat er genug Platz und du kannst ihn vom Fenster aus sehen. Er hob sie herunter.
Gesagt getan. Mit fleißiger Hilfe der Pferde schafften wir es den Weihnachtsbaum aufzustellen und ihn vorm umfallen zu sichern.
Auch als wir nicht genug zu Schmücken fanden waren er und seine Pferde die Helden des Tages.
Er flüsterte ihnen etwas ins Ohr und schon ritt er mit einem Fuß auf dem linken und dem anderen Fuß auf dem rechten Pferd stehend los in Richtung Dorf. Schon wenig später war er wieder da. Und mit ihm das ganze Dorf. Die Leute schleppten eine lange Holzleiter und Unmengen Kartons. In den Kartons waren haufenweise Lichterketten, Kugeln, Eiszapfen und anderer Baumschmuck, wie wir kurz darauf feststellten.
Mit Hilfe der Dorfbewohner nahm der Weihnachtsbaum in kürzester Zeit Gestalt an.
Schließlich glänzte er in allen möglichen Farben und die Lichterketten leuchteten so hell wie keine anderen je zuvor. Nur die Spitze ließen sie frei.
In dem Moment als Kira ihren Aluminiumstern die Leiter hinauf trug und ihn auf die Baumkrone steckte geschah ein weiteres Wunder.
Der eben noch kalte graue Stern begann zu leuchten. Sein Licht leuchtete weit hinaus über die Hänge bis hinunter ins kleine Dorf.
Zutiefst ergriffen von diesem Schauspiel bildeten wir einen Kreis um den großen Baum herum und sangen bis in den späten Abend hinein ein Weihnachtslied nach dem anderen. Vergessen war der Sturz und alle Strapazen.....
Der 10. Dezember war ein Samstag.
Kira war vom letzten Abend noch so erschöpft, dass sie noch tief und fest schlief als ich mich auf den Weg ins Dorf machte.
Ich wollte ihr ein Geschenk besorgen und mich ganz nebenbei ein wenig erkundigen warum zwar alle das kleine Mädchen kannten aber sie hier oben so alleine wohnte.
Die Ersten auf die ich traf waren Kinder in ihrem Alter.
Als ich in einer Schneeballschlacht ihr Vertrauen gewonnen hatte, tastete ich mich vorsichtig aber direkt vor.
Ihre Antworten waren genau so wie ich es erwartet hatte. Niemand wusste etwas von Kira's Eltern. Noch nicht einmal ihre Namen.
Unter den Kindern war Kira nur das gehänselte Mädchen von nebenan. Einfach die Einzelgängerin und nichts weiter.
Bei den Erwachsenen in den verschiedenen Läden war es ähnlich.
Sie kümmerten sich zwar ab und zu um Kira aber niemand wusste etwas.
Irgendwann war sie im Haus oben am Hang gewesen ohne das jemand wusste woher sie kam.
Enttäuscht ging ich am Abend zurück zu Kira.
Die Kleine schlief noch immer tief und fest.
Also nutzte ich die Zeit um ihr Geschenk in Ruhe einzupacken.
Es war gegen Mitternacht als ich es endlich geschafft hatte. Gerade rechtzeitig bevor mir die Augen zufielen und ich ins Land der Träume hinweg schlummerte. Leider waren es Albträume. Mein Kopf malte sich die denkbar schlechtesten Optionen aus wie Kira's junges Leben verlaufen sein musste.
Der nächste Morgen kam unerwartet und mit Karacho.
"Lina, Lina, Lina...", trommelte es in meinen Ohren. Ich riss sie Augen auf.
Vor mir stand Kira. Übersät mit blauen Flecken. Sie weinte.
Als ich die Arme ausbreitete sprang sie zu mir aufs Bett. Ich nahm sie tröstend in den Arm und streichelte sanft ihren Kopf.
"Was ist denn passiert?", flüsterte ich.
"In der Küche ist die Hölle los. Ich ...Ich habe das nächste Rezept ausgeführt aber ... es ist etwas schief gelaufen.
Einer der Lebkuchenmänner hat das Zimtpulver umgestoßen. Und jetzt ist da ein riesiger Keks der mich fressen will."
Es polterte an der Zimmertür. "Du bleibst hier.", wies ich Kira an und zeigte aufs Bett. Als ich aufstand kauerte sie sich unter die Bettdecke.
Wie eine Schildkröte hockte sie da und beobachtete die Tür. Ich hatte gerade noch Zeit einen eisernen Kerzenleuchter vom Nachttisch zu greifen, schon hob sich die Tür aus den Angeln. Ein riesiger Keks rollte direkt auf mich zu.
In Folge eines irren Adrenalinschubs hob ich den Leuchter hoch über meinen Kopf. Erst als der Keks nur noch Sekundenbruchteile von mir entfernt war, schlug ich zu. Ein Mal, zwei Mal, drei Mal ...
Solange bis selbst der kleinste Krümel des Kekses nicht mehr zuckte.
Das einzige Stück das nochmal versuchte mich anzugreifen griff ich in der Luft und schob es mir in den Mund. Nur ein Biss und es war erledigt.
Nachdem auch Kira wieder Mut gefasst und sich aus der Decke geschält hatte, sammelten wir die Kekskrümel ein und stopften sie in Tüten. Zumindest die, die noch so groß waren wie ein normaler Keks.
Kira wollte sie nicht im Haus behalten also brachten wir sie runter ins Dorf.
Die Dorfbewohner freuten sich sehr und auch die kleine Kira fand endlich Anschluss zu den anderen Kindern.
Sie spielten sogar zusammen und irgendwann entbrannte im ganzen Dorf eine riesige Schneeballschlacht.
Egal ob groß oder klein, alle machten mit. Nicht nur einmal musste ich mich aus einem Schneeberg freikratzen.
Was an diesem Tag in jenem Dorf geschah bestand aus purer Freude. Und es war sehr schön ein Teil dieser Freude zu sein. Teil einer Freude, die scheinbar unendlich schien...
12. Dezember.
Die halbe Vorweihnachtszeit war um.
Wir hatten in Ruhe gefrühstückt so wie an jedem Morgen. Alles schien normal zu sein.
Doch etwas ganz Markantes war anders als sonst.
Es war zu still, als dass man irgendwo hätte Fröhlichkeit erahnen können.
Auch Kira war ruhiger als sonst. Das ganze Frühstück war an ihr vorüber gegangen ohne dass sie ein Wort verlor.
Plötzlich erklang ein leises Fiepen und Jaulen vor der Haustür. Von jetzt auf gleich war Kira wie ausgewechselt. Sie sprang vom Tisch auf, zog in Windeseile ihre Wintersachen an und stürmte nach draußen. Ich sah durch das Küchenfenster wie sie durch den tiefen Schnee zum großen Weihnachtsbaum watete. Außer ihrer führte dorthin noch eine weitere Spur. Jedoch war sie kleiner als die von Kira.
Just in diesem Moment zog Kira ihren Schal vom Hals und wickelte etwas Kleines darun ein. Schützend hielt sie sich das Bündel vor den Bauch und stapfte kurz darauf zurück zum Haus.
Lediglich ihre Schuhe streifte sie ab dann hockte sie sich auf das große Fell vorm Kamin im Wohnzimmer.
Ich folgte ihr und sah zu wie sie das kleine Bündel liebevoll auswickelte.
Es lag ein zitternder Welpe darin. Er musste gerade erst wenige Stunden zuvor geboren worden sein.
Ein kleiner schwarzer Labrador mit strahlend blauen Augen. Wir wurden mit einem putzigen Nieser begrüßt.
Während ich in der Küche schnell etwas Milch erwärmte begann Kira vorsichtig damit ihn trocken zu reiben. Ich füllte die Milch in ein kleines Schüsselchen und brachte es ihr. Sie stellte es neben dem Kopf des Welpen ab. Wie von selbst kroch der niedliche Labrador zu dem Schüsselchen hin. Seine winzige rosa Zunge stippte in die warme Milch. Als er bemerkt hatte, dass es gut schmeckte, schlabberte er das Schüsselchen in einem Zug leer.
Sein Zittern hörte augenblicklich auf und er gähnte zufrieden. Die Wärme tat ihm sichtlich gut.
Nach einer Weile war der Welpe tief und fest eingeschlafen. Er schnarchte sogar leise vor sich hin. Kira lag neben ihm und ließ sachte ihre Hand über seinen Rücken wandern. "Warum seine Familie ihn wohl dort draußen abgelegt hat?", flüsterte sie, "Er muss doch jemandem gehören..."
Ich wollte ihr grade antworten, da fiel mir eine fremde Stimme ins Wort. Ein grelles Licht durchzog den grauen Himmel und durchflutete jeden Winkel des Wohnzimmers. Inmitten des Glanzes saß eine wunderschöne weiße Hündin. Auf unserem Fensterbrett. Sie kam wie ein Geist. Schnipp und sie war einfach da. "Er hat jetzt seinen Platz bei dir. Achte gut auf ihn und gib ihm die Familie, die er verdient hat.", sprach die Hündin sanft. Ja richtig gehört , sie sprach. Und bevor ein "ABER" im Raum erklingen konnte, war sie schon wieder verschwunden.
Plötzlich kam Bewegung in den kleinen Welpen. Seine Lider öffneten sich schlaftrunken. Der kleine Körper richtete sich auf und wankte auf Kira zu.
Bei ihr angekommen sprang er auf ihren Bauch und rollte sich dort wie eine Katze zusammen. Ihm war sogar egal ob Kira sich bewegte. Es war nur allzu offensichtlich das er sich wohlfühlte. Kira fing an ihn zärtlich zu streicheln. "Ich glaube ich nenne dich Teddy. Denn du bist so schwarz wie die Nacht, so süß wie ein verspieltes Kind und so treu wie ein Kuscheltier.", sagte sie. Der Kleine quiekte zufrieden.
Die stunden strichen dahin während wir ihm beim Schlafen zusahen und mit ihm spielten oder ihn fütterten.
Einmal hinaus geschaut schon war es wieder Abend. Kira war bereits auf dem Fell eingeschlafen als auch mich die Müdigkeit ergriff. Mit einem letzten Blick auf die beiden schlief ich schließlich im Sessel gegenüber von ihnen und dem Kamin ein.
Erst spät am Nachmittag erwachte ich aus meinem Schlummer.
Mein nacken schmerzte ungeheuerlich, sodass ich mich erst nach einem heissen Bad wieder richtig bewegen konnte.
Kira saß bereits in der Küche als ich vom bad zurück kam. Sie summte fröhlich Weihnachtslieder vor sich hin, vertieft in einem großen Haufen Wolle.
Mitten im Wollehaufen sah ich hin und wieder ein paar Wollknäule hoch hüpfen. Aber das Hüpfen kam nicht von Kira. Teddy spielte mit den wollknäulen als wäre er eine Katze. Immer wenn ihm eins auf den Kopf fiel fiepte er und kläffte kurz vor Freude.
So etwas niedliches hatte ich lange nicht mehr gesehen. "Was treibst du da eigentlich?", fragte ich Kira neugierig. Sie sah auf und lächelte. "Eine Decke für Teddy, damit er auch mit draußen spielen kann.", sagte sie und hielt ein kleines Häkeldeckchen hoch. Ich sah rote Sterne auf weißem Grund neben weißen Sternen auf blauem Grund. Sie nahm Teddy aus dem Wollehaufen und legte ihm seine Winterdecke um. Der Kleine schnupperte kurz an der Decke hielt sonst aber still. Das zusätzliche Fell schien ihn nicht zu stören. Im Gegenteil es freute ihn. Stolz stolzierte er auf dem Tisch umher.
Da klopfte es an der Tür. Kira ging hin und öffnete sie. Ich blieb wo ich war und sah zu wie sie mit einem Kind aus dem Dorf redete.
Kurz darauf sah sie fragend zu mir zurück. "Ist es in Ordnung wenn ich runter ins Dorf gehe? Die Kinder möchten mit mir spielen.", fragte sie.
Mein Nicken war spontan aber ehrlich. "Geh nur, hab Spaß. Ich werde am Abend mit Essen auf dich warten."
Kiras Lächeln wurde größer. Sie schnappte sich Teddy, zog sich schnell an und verschwand mit dem anderen Kind draußen im Schnee.
Verträumt sah ich ihnen zu wie sie mit dem Welpen tobten, lachten, sangen und spielten. Erst als die drei außer Sichtweite waren konnte ich mich vom Fenster abwenden.
Die nächsten Stunden waren ungewohnt ruhig. Sie verstrichen nur sehr langsam und zogen sich ewig hin. Und das trotz Hausputz.
Am Abend saß ich bei einem schönen Braten, Kartoffeln und Gemüse am Küchentisch und wartete. Überpünktlich stand Kira in der Haustür.
"Ich hoffe ich bin pünktlich zurück.", sagte sie zögerlich. Ich lächelte und bat sie zu Tisch. Eilig zog sie ihre Winterkleider aus und setzte sich.
Teddy bekam seine warme Milch. Glücklich schlemmten wir alle bis auch der letzte Krümel verputzt war.
Kira konnte gar nicht aufhören mir von ihren Abenteuern an diesem Tag zu erzählen. Mitunter vergaß sie sogar das Kauen und Schlucken.
Wie ein Wasserfall sprudelte es aus ihr heraus. Zum Besipiel wie sie wieder eine große Schneeballschlacht gemacht hatten und jetzt jedes haus im Dorf seinen eigenen Schneemann hatte, weil sie überall welche gebaut hatten. Oder wie Teddy als Schneekugel durchs Dorf gerollt war, weil er sich im Schnee gewälzt hatte.
Wir saßen später noch sehr lange im Wohnzimmer vorm Kamin bis Kiras Geschichten zuende waren. Wobei man zuende gar nicht wirklich sagen konnte, da sie noch während des Erzählens erschöpft einschlief. Ich trug sie in ihr Bett und legte danach auch mich schlafen, da mir die vergangenen Tage gezeigt hatten, dass ich meinen Schlaf hier definitiv brauchte bei dem was alles geschah.
Wieder einmal schliefen wir bis mittags aus.
Naja, eigentliche hätten wir wahrscheinlich noch länger geschlafen wäre Teddy nicht gewesen.
Das Gebrüll der Lebkuchenmänner war es, das mich aus dem warmen Federbett scheuchte.
Als ich die Küche betrat war schnell klar was den Tumult ausgelöst hatte....
Teddy war total fasziniert von den duftenden Männchen. Er war irgendwie auf die Anrichte gesprungen und inspizierte auf seine Art das Lebkuchendorf.
Gerade spielte er mit einem der Männchen Ping - Pong zwischen seinen Vorderpfoten. "Aus, Teddy, stop!", rief ich und nahm ihn auf den Arm.
Zum Glück war das kleine Dorf bis auf ein paar Lebkuchenmänner mit PingPong-Drehwurm heile geblieben.
Dann stand Kira in der Küche. Nachdem ich ihr erzählt hatte was passiert war sah sie Teddy böse an. Dieser zog den Kopf ein und winselte schuldbewusst.
Kira stöhnte. "Entschuldige dich!", sagte sie, nahm ihn mir ab und hielt ihn den geschädigten Männchen vor die Nase.
Er gehorchte sofort und schleckte jeden vorsichtig mit seiner Zunge ab. Die Männer beruhigten sich und tätschelten ihm die schwarze Nase. "Großes kleines Kind mit Fell .", sagten sie im Chor, "Wir vergeben dir."
Daraufhin setzte Kira ihn auf den Boden. Doch Teddy blieb nicht dort wo sie ihn hingesetzt hatte.
Sein Weg führte ihn zur Haustür wo er aufgeregt zu kratzen begann. Wir ließen ihn hinaus, weil wir dachten er musste vielleicht eilig auf die Toilette.
Aber wie sich wenig später zeigen sollte irrten wir uns. Teddy kam mit einem großen Tannenzweig wieder, den er kaum im maul halten konnte. Stück für Stück zerrte er ihn mit lautem Knurren zur Haustür. Der Schnee tropfte auf die Trittstufe. Vor Kiras Füßen angekommen ließ er den Zweig los und schüttelte sich. Freudig wedelnd sah er zu Kira hoch und japste erschöpft. Was immer er uns damit sagen wollte, wir kamen beide nicht drauf.
Kira hob den Zweig auf und klopfte den Schnee ab. Teddy sah ihr zu und huschte durch die Tür ins wohnzimmer. Wir schlossen die Haustür und folgten ihm. Kläffend stand das kleine Fellknäuel vorm Kamin. Er kläffte so lange bis Kira ihm Teile des Zweiges zu einer Art Kranz gelegt hatte. Dann drehte er sich in dessen Mitte dreimal um sich selbst und legte sich hin. Kurz darauf war ein leises Schnarchen zu hören.
"Ein seltsames Bett für einen seltsamen Hund.", sagte ich leise und lachte. Kira stimmte zu und kicherte ebenfalls. Ich sah auf dem Sessel ein Buch liegen. "Was hältst du davon wenn wir uns zu Teddy gesellen und ich dir etwa vorlese?", fragte ich Kira. Schon saß sie auf meinem Schoß.
Das Buch entpuppte sich als altes Märchenbuch.
Stunde um Stunde verging und Kira wollte immer mehr hören.
Schließlich dachte ich mir selbst Geschichten aus. Es wurde ein wunderschöner Abend mit Keksen und Obsttellern.
Noch am nächsten Tag hatten wir kugelrunde Bäuche und brauchten gar nicht zu frühstücken.
Auch Teddy machte keinerlei Anstalten nach Futter zu fragen. Er hatte sich bereits an Kekskrümeln gütlich getan und lag schmatzend in seinem Kranz.
Nachdem wir ganz in Ruhe aufgestanden waren, versuchten wir uns daran das vorletzte Rezept aus dem Büchlein auszuführen.
Dieses mal, so hatte Kira mir zuvor vorgelesen, würden sich die Kekse nicht bewegen.
Nach sage und schreibe 3 Stunden holte ich das Blech aus dem Ofen. Sie hatte recht. Kein Keks redete oder bewegte sich.
Wir teilten uns einen Hundekeks. Was dann geschah verwirrte nicht nur mich sondern auch Kira.
Wir konnten tatsächlich hören wie Teddy im Schlaf redete. Sein Schnarchen war kein Schnarchen mehr sondern wirklich und warhaftig ein Wirrwarr aus verständlichen Worten.
Es waren also Tierstimmenkekse. Und je nachdem welche Form der Keks hatte konnte man mit einem anderen Tier reden.
Die Kekse füllten wir in eine kleine Tüte und nahmen sie mit nach draußen.
Bei jedem Tier das wir trafen probierten wir den passenden Keks.
Es war wirklich interessant was für Geschichten die Tiere zu erzählen hatten.
Sogar so interessant, dass wir erst im tiefsten Nachtdunkel nach Hause kamen und dementsprechend erst als es wieder hell wurde in unseren Betten landeten.
Ein wirklich schöner Tag.
Die Sonne schien und der Schnee taute leicht.
Ich war mit Kira und Teddy wieder mal im Dorf und sah mir an, was die Kinder gebaut hatten.
Der Schuster hatte einen Schneemann mit Schuhen als Hängeohren, die Schneiderin hatte ihrem Schneemann eine alte Flickenweste umgehängt. Jeder im Dorf hatte auf seine Art seinen Schneemann verschönert. Nun war schon von weitem zu sehen wo welches Geschäft zu finden war.
Auf dem Marktplatz zeigte sich dann, dass die Dorfbewohner mehr Gefallen an den Bauwerken der Kinder gefunden hatten als gedacht.
Das ganze Dorf war auf den Beinen.
Einige trugen Schnee in Eimern. Andere begnügten sich damit Eisblöcke anzufertigen. Wer nicht zu diesen Gruppen gehörte war damit beschäftigt aus den Eisblöcken wunderschöne Eisskulpturen zu bauen. Sie hatten schon viele hergestellt. Einen Bären, ein Kaninchen, sogar ein steigendes Pferd.
Gerade waren sie dabei ein riesiges Iglu zu errichten, das begehbar war. Die Buden vom Weihnachtsmarkt hatten sie einfach im Inneren des Iglus wieder aufgebaut. Ein iglu beinah so groß wie der Marktplatz selbst, wie waren sie nur darauf gekommen. Wer auch immer darauf gekommen war hatte eine bombastische Idee gehabt.
Es war ein atemberaubendes Erlebnis zu sehen wie direkt über unseren Köpfen die Kuppel geschlossen wurde.
Als es fertig war, begann ein riesiges Fest. Es gab Musik, Schneeskulpturen Bau-Wettbewerbe und jede Menge Glühwein beziiehungsweise Punsch.
Das vorbereitete Buffett des Schlachters war auch nicht zu verachten. Vor allem war es wider erwarten plötzlich warm in dem Iglu.
Bis in die frühen Morgenstunden feierte das gesamte Dorf fröhlich den Bau ihrer >Eisstadt<, wie sie es nannten.
Überraschenderweise waren trotz der Feier am nächsten Tag alle ausgeschlafen.
Kira fand ich mit ihrem schlafenden Welpen auf dem Arm vertieft in ein Gespräch mit der Dorfschneiderin.
Diese hörte ihr aufmerksam zu und schien jedes ihrer Worte wie ein Schwamm aufzusaugen. Ich wollte die zwei nicht stören, daher sah ich mich nochmal an der Kerzenbude um und wartete. Nicht lange und Kira kam mit der Schneiderin auf mich zu. Diese hakte sich bei mir ein und zog mich sofort mit sich.
Die Reise endete in ihrem Geschäft zwischen Tüll, Satin und Brokat. "Willkommen im Reich der Schönheit.", sagte die ältere Dame.
Sie musterte mich von oben bis unten. Kira stand mir lächelnd gegenüber und streichelte Teddy. Ihr Blick wirkte aus irgendeinem Grund beruhigend auf mich. Schon im nächsten Augenblick steckte ich in einem langen azurblauen Kleid ohne das ich wusste wie die Schneiderin mich darin verpackt hatte.
Zu sehr war ich mit der Grübelei über den Grund dieser Aktion beschäftigt gewesen. Viel zu sehr vertieft in unnötige Gedanken, die mich von der Wirklichkeit fernhielten. Taub auf der Haut um ihre fähigen Hände zu bermerken. Djenin Tulio, wie die Schneiderin hieß, war wie eine Elfe. Man hörte, sah und spürte sie nicht wenn sie es nicht wollte. Nur jetzt war es in ihrem Sinn mich wissen zu lassen, dass sie da war. Mit einem beherzten Ruck zog sie das weiche Kleid um meine Taille enger. Zum Glück dauerte es nicht lange herauszufinden wie ich an Besten atmen konnte. Abseits dieser Umgewöhnung war das Kleid einfach wunderschön.
Der azurblaue Stoff fiel fließend wie Wasser. Nur die silberne Einfassung über meinem Dekollette war etwas starrer. Auf meinem Rücken ertastete ich eine Schnürung, was erklärte wie Djenin meine Taille verengt hatte. Die langen Glockenärmel die auf Höhe der Einfassung anfingen rundeten das Bild ab. Ich glänzte von oben bis unten wie der weite Ozean bei Sonnenaufgang. "Aber Djenin, das....das kann ich mir unmöglich leisten.", stotterte ich. die Schneiderin winkte ab. "Das brauchst du nicht. Wir möchten es dir zum Geschenk machen.Seit du da bist ist die Freude in unser Dorf zurückgekehrt.", sagte sie freudig und lächelte mir zu. Dann sah ich plötzlich Kira nicht mehr. Lediglich Teddy lag schlummernd auf ihrer Jacke. "Wo ist Kira?", fragte ich erschrocken. Da fasste mich eine Kinderhand am Unterarm. Ich sah hinunter und da war sie. Gekleidet in ein ebenso schönes Kleid wie meins, nur das ihres rot war. Ansonsten war es genau der selbe Schnitt. Djenin stellte eilig einen Spiegel vor uns auf. Und als ich unsere Spiegelbilder so eingehend betrachten konnte, fiel mir das allererste Mal in der zeit, die ich hier verbracht hatte, auf, wie ähnlich mir Kira eigentlich sah. Ihr Gesicht, die langen blonden Haare, einfach alles an ihr war gleich. Genau wie ich als ich in ihrem Alter war bekam sie auffällig markante Grübchen wenn sie lächelte. Sie war von ihrer Statur her auch genau so drahtig wie ich einst. Unfassbar, dass mir das nicht schon früher aufgefallen war.
Kira zupfte mich an der Hand und ich vergaß augenblicklich meine Gedanken. Wir bedankten uns bei Djenin und zogen uns mit ihrer Hilfe wieder um.
Der Rückweg mit den Kleidern im Gepäck wurde beschwerlicher als gedacht. Es hatte über Nacht auf dem Hang viel mehr geschneit als unten im Dorf.
Der Schnee ging mir bis zum Knie. Damit Kira es leichter hatte, ging ich voraus und schob ihn mit meinen Beinen zur Seite. Auf diese Weise bewiesen wir es war schwer aber nicht unmöglich, man musste nur Ideen haben. Doch trotz aller Mühe zog sich dadurch der eigentlich recht kurze Weg ewig in die Länge. Der Himmel verdunkelte sich bereits als wir es ins Haus geschafft hatten. Umso schneller war der Weg ins Bett.
Total übermüdet verbrachten wir den neuen Tag daheim. Es gab sowieso keine Chance das Haus zu verlassen, da der Schnee noch einiges an Höhe zugelegt hatte. Jetzt machten sich die Sachen vom Weihnachtsmarkt bezahlt. Durch sie war mehr als genug Essen und Trinken da.
Auch für Teddy gab es mehr als genug Milch.
Und langweilig wurde uns auch nicht. Bis zum Mittag beschäftigten wir uns damit aus einer der Deko-Girlanden einen Kranz zu binden, da wir damit den 4. Advent mit Kerzen feiern konnten. Den Rest des Tages spielten wir mit Teddy oder, wenn er schlief, Brettspiele in der Küche.
Oder auch einfach nur verstecken.
Was uns an Spielen einfiel wurde gemacht.
Nach den Abendessen sangen wir Weihnachtslieder mit den Lebkuchenmännchen und sagten abwechselnd Gedichte auf.
Alles in allem war es der besinnlichste Tag von allen.
Manchmal überrraschte es selbst mich wie schnell die Natur ihre Laune ändern konnte.
Gestern noch meterhoch Schnee und heute eisige Schlitterflächen in Hülle und Fülle.
Ein gefährlicher Spaß aber Kira und ich konnten es einfach nicht lassen. Da der gesamte Hang um den großen Weihnachtsbaum herum eine einzige Eisfläche war, hatten wir unseren ganz privaten Spielplatz. Nur Teddy konnte sich mit dem Eispalast nicht so richtig anfreunden.
Er tobte stattdessen im wenigen lockeren Schnee herum. Es musste eine Ewigkeit her sein, das ich zur Weihnachtszeit so fröhlich und glücklich gewesen war. Ich hatte sogar vergessen warum ich angefangen hatte Weihnachten nicht mehr zu mögen. Egal wie lange ich darüber nachdachte, ich fand einfach keine Antwort oder gar einen Grund. Schließlich gab ich es auf.
Mich interessierte derzeit so oder so viel mehr warum mir dieses Kind so ähnlich war.
War ich vielleicht doch nicht durch Zufall hierher gekommen? Hatte irgendwo irgendwer beschlossen mich hierher zu schicken? Wenn ja, aus welchem Grund? Kannte ich dieses Kind schon vorher und hatte es vergessen?
Fakt war, sie war mir zu vertraut um mir gänzlich fremd zu sein. Und sie war es auch, die mir die Freude an Weihnachten zurückgegeben hatte.
Was auch immer es für einen Grund gab, Kira hatte eine besondere Bindung zu mir das stand fest. Und es musste ein sehr guter Grund sein.
Gerade kam Kira herüber und holte mich aus meinen Gedanken. Gemeinsam beobachteten wir Teddy dabei, wie er versuchte auf die Eisfläche zu kommen.
Immer wieder versuchte er auf der Eisfläche ganz normal zu laufen. Das klappte natürlich nicht. Schritt eins und zwei gingen gut aber kaum war die dritte Pfote in der Luft plumpste er bäuchlings auf das Eis und rutschte kreuz und quer über die Fläche.
Nachdem Teddy zum 5. Mal ein Ufer erreicht hatte stolzierte er eingeschnappt von der Eisfläche . Kira schlitterte gleich hinüber um ihn zu trösten. Sie rollte ihm aus dem bisschen Schnee das noch am Rande des Hanges lag ein paar kleine Schneebälle und schon war er wieder glücklich.
Wir selber suchten uns zwei krumme Äste und einen Tannenzapfen und spielten den Rest des Tages Eishockey.
Am nächsten Tag war es etwas wärmer, sodass die Eisfläche sich über Nacht verflüchtigt hatte.
Zwar hatten wir jetzt kein Eis mehr aber dafür lieferte die Natur gleich wieder Pulverschnee hinterher. Also ging ich mit Kira und Teddy nach draußen.
Wir bauten alles was uns spontan einfiel aus Schnee nach und hatten bald...ja, was eigentlich...Wir fanden einfach keinen Namen für den Haufen an Skulpturen rund um den Baum. Von Tieren über Gegenstände bis hin zu einem Eisschloss war alles dabei was unsere Phantasie hergab.
Am späten Nachmittag luden wir dann die Dorfbewohner ein sich unsere Kunstwerke anzusehen. Eine eigene kleine Ausstellung, wer hat so etwas schon.
Und sie waren begeistert. Ginge es nicht um vergängliche Skulpturen aus Eis und Schnee hätte man denken können es wäre eine Galerie.
Die Bäckerin übertraf allerdings alles. Sie hatte noch auf die Schnelle Kakao und belegte Brötchen fürs ganze Dorf mitgebracht.
Daher endete der Tag mit einem großen Winter-Picknick unter dem großen Weihnachtsbaum.
Hätte mir jemand gesagt was mich nun am 21. Dezember erwartete, hätte ich das letzte Brötchen lieber nicht gegessen. Geschweige denn meinen empfindlichen Stadthintern auf einen nassen Eisblock gesetzt. Ich fühlte mich an diesem Tag überhaupt nicht gut. Mein ganzer Körper schlotterte vor Kälte trotz dicker Daunendecke. Wach gemacht hatte mich überhaupt erst ein lauter Nieser dem ein Hustenanfall gefolgt war. Aufstehen konnte ich damit völlig vergessen. Wohl aufgeschreckt von meinem Husten rannte Kira herbei und sah mich besorgt an. "Du bist krank. Eine heisse Suppe und viel Schlaf hilft dir bestimmt schnell wieder auf die Beine. Zumindest ist das bei mir immer so.", sagte sie. "Aber...", protestierte ich, doch Kira fuhr mir mit bestimmter Miene über den Mund. "Die letzten Tage hast du dich um mich gekümmert also kümmere ich mich jetzt um dich." Überrascht von ihrem selbstbewussten Auftreten deckte ich mich brav wieder zu und wartete bis sie mir die Suppe brachte. Nachdem ich sie eilig herunter geschlungen hatte dunkelte Kira noch das Zimmer ab und ging nach draussen. Damit war für mich ein erfolgloser Tag nach wenigen Minuten bereits wieder beendet denn ich schlief tief und fest ein.
Am 22. Dezember machte sich deutlich bemerkbar das der Weihnachtsabend nicht mehr weit entfernt war.
Langes Ausschlafen war etwas an das nicht einmal zu denken war. Schon in der Frühe noch während der Morgendämmerung rumpelte und polterte es in unserer Küche . Das laute Gemaule der Lebkuchenkompanie war nicht zu überhören. Kaum war ich aus dem Bett sprang ich in meine Kleider und sauste eilig in die Küche. DSiese war das reinste Chaos. Mal wieder. Doch dieses Mal anders als bei Teddys Tobsuchtsanfall Tage zuvor. Der kleine Strolch saß mit schief hängendem Köpfchen mitten auf dem Esstisch und beobachtete gespannt das Gewusel um sich herum. Als er mich sah bellte er freudig. Das war zwar niedlich aber der Rest des Geschehens war merkwürdig. Die Metalldosen in denen wir an einem der ersten Vorweihnachtstage die wilden Sternchenkekse eingefangen hatten, lagen nun offen auf dem Fliesenboden. Ihre Bewohner sausten freudig kichernd kreuz und quer durch die Küche. Und als ob das nicht schon genug sei schwebte auch noch das kleine rote Backbüchlein aufgeschlagen über dem Küchentisch. Es schien die kichernden Sternchen zu dirigieren. Immer wenn eine Seite umschlug klappte die Tür vom Backofen auf und die Sternchen hoben das Blech aus dem Ofen. Sie transportierten es zum Küchentisch und tauschten die fertigen Kekse gegen neue Rohlinge aus, die sie gleich darauf wieder in den Ofen schoben. Der General der Lebkuchenkompanie stand nur noch kopfschüttelnd vor seinem Dorf. "Was ist hier los,Herr General?", fragte ich ihn. Er zuckte mit den Schultern. "Eine sehr gute Frage, Mam. Das weiß ich auch nicht so genau. Die Schranktüren gingen plötzlich auf und die Keksdosen polterten auf den Boden. Seitdem schwebt das Büchlein dort und die Sterne backen unaufhörlich alle möglichen Kekse." Nun stand auch Kira in der Küche. Beherzt griff sie nach dem Büchlein, das ihr immer wieder zu entkommen versuchte. Wieder einmal wusste sie anscheinend instinktiv was sie zu tun hatte. So sehr das Büchlein sich auch sträubte, Kira hielt es fest in der Hand und blätterte Seite um Seite um bis sie gefunden hatte was sie suchte.
"Fortus magicus starus!", sprach sie laut und deutlich in den Raum. Von da an konnte ich den Sternen zusehen wie sie von Himmel fielen. Das Backblech knallte auf den Boden. Kira grinste frech. "Zum Glück habe ich mir am Anfang das ganze Büchlein durchgelesen." Wir sammelten die ganzen Kekse ein, sperrten sie wieder in ihre Dosen und etliche weitere Tüten. Die Lebkuchenkompanie klatschte begeistert. Weiß der Geier wie das alles zustande gekommen war aber allein durch das Einsammeln verstrich der ganze restliche Tag wie im Flug.
Als schließlich die 23 im Kalender stand pochte es gegen Mittag an unsere Türe.
Davor standen die Kinder aus dem Dorf. Sie sahen uns mit großen Knopfaugen an. Verwundert starrte ich Kira an. "Schon gut, ich habe meine Freunde hergebeten. Das Weihnachtsfest ist doch das Fest des Teilens oder nicht?", sagte sie und ließ die Kinder herein. "Ja...aber wie.....", stammelte ich. Kira lächelte freudig. "Ich habe Teddy mit einem Zettel losgeschickt. Wir haben doch jetzt viel mehr Kekse als wir selber essen können, da dachte ich wir, also meine Freunde und ich, verzieren sie noch und schmücken damit dann die großen Tannen im Dorf. Und der Rest wird verputzt."
Mit diesen Worten kramte sie ihre Dekosachen hervor und setzte sich mit den anderen Kindern um den Küchentisch.
Dieses Kind verblüffte mich immer wieder. Aber sie hatte recht. So viele Kekse konnten wir drei alleine eh nicht aufessen.
Und so ließ ich sie gewähren und verbrachte den letzten Vorweihnachtstag mit ihr, Teddy und den Dorfkindern bei ihrer großen Schmückaktion und war gespannt darauf was wohl der Weihnachtstag nach all dem schon erlebten noch bringen würde...
24. Dezember!
Nun war er da, der Weihnachtstag.
Mein Weckkomando hatte vier Pfoten, einen ausgeprägten Hang zum Spielen und eine kleine rauhe Zunge.
"Uäääh, Teddy, lass das. Ich bin ja schon wach.", gähnte ich und versuchte den Welpen vom Bett zu schubsen. Vergeblich. Er schien meine nächsten Schritte zu ahnen. Einmal hatte ich ihn fast zu fassen bekommen, nur knapp konnte er mir entkommen. Dann kam mir eine Idee. Ich legte mich wieder auf die Seite und schloss die Augen. Schon kam er wieder an der Bettkante entlang zu mir hoch getapst. Sein Pfotenstupsen um fest zu stellen ob ich wirklich schlief ignorierte ich.
Das führte schließlich dazu, dass er wieder versuchte meine Nase abzuschlecken. "Hab ich dich.", rief ich und packte zu. Und tatsächlich, Teddy hing in meinen Händen und wedelte erfreut mit seiner kleinen Rute. Unterdessen war Kira ins Zimmer gekommen und hatte sich das Schauspiel aus der Ferne angeschaut.
"Hier bist du also.", sagte sie und lachte. dann wandte sie sich mir zu: "Wir sind zu einem großen Weihnachtsfest im Dorf eingeladen komm schnell."
In Windeseile war ich angezogen und schon wenig später befanden wir uns im Dorf. Warum so schnell?
Naja, der weg hinunter war zugefroren und hatte sich in eine riesige Rutsche verwandelt...
Dennoch war es trotz Rutschpartie sehr schnell dunkel geworden. Anscheinend hatte ich wieder einmal den halben Tag verschlafen während kira schon quietschfidel in der Gegend herum tobte. und so gingen wir nun zum Klang der Glocken hinein in das riesige Kirchenschiff.
Es empfing uns heller Kerzenschein und lautes Orgelspiel. alle saßen sie da, fein herausgeputzt, und sangen Kirchenlieder der Weihnachtszeit.
Heimlich, still und leise setzte ich mich mit Kira in eine der hinteren Bankreihen.
Bald schon sollte sich herausstellen, dass dies kein gewöhnlicher Gottesdienst war. es lag etwas Seltsames in der luft und damit meine ich nicht den Geruch von Weihrauch aus den kugeln an den wänden. Die ganze situation hatte etwas magisches, etwas das mir Gänsehaut bereitete. Und mein Bauchgefühl sollte mich nicht entäuschen. Ich kann zwar nicht genau sagen wie viel zeit verging aber als wir gerade das Ave Maria beendet hatten klopfte es lautstark ans Kirchentor.
Unter den Anwesenden machte sich verwirrtes Tuscheln breit. alle sahen sich gegenseitig an und rätselten wer das sein konnte. Sie waren ja immerhin ohne Ausnahme in der riesigen Kirche versammelt. Wie in Zeitlupe drehten sich alle hin zu dem hohen tor als es aufschwang.
Herein trat eine hübsche junge Frau.
Von Kopf bis Fuß in strahlendes Rot gehüllt wanderte sie unbeirrt Schritt für Schritt an den Bänken vorbei. Erst vorne auf der Bühne drehte sie sich um und zeigte ihr Gesicht. Die rot gefrorenen Pausbacken leuchteten im Schein der Kerzen wie frische rote Äpfel im Sonnenschein. Mit einer Stimme so ruhig und harmonisch wie Seewasser bei einer leichten Brise sprach sie uns an. "Ein fröhliches Weihnachtsfest wünsche ich euch. Während ich an euch vorbei ging wurden von kleinen Elfen Geschenke vor euch abgelegt. Ich hoffe sie gefallen euch." Sofort wurde Geraschel laut. Jeder einzelne zeigte seinem Banknachbarn voller Freude was er bekommen hatte. Nur Kira saß wie versteinert da und starrte wortlos auf ihr geöffnetes Paket. Als ich sah was sich darin befand verschlug es auch mir die Sprache.
Es war ein kleines Kuscheltier in Form von Teddy. An ihm war ein kleiner Zettel befestigt auf dem stand "Ich habe deinen Wunsch erhalten. ICH bin deine richtige Mutter. Gezeichnet: Kristin Snow. PS: Fall nicht um aber dein Vater ist der Weihnachtsmann."
Wer würde bei so einer Nachricht nicht erstmal in Entsetzen verfallen. Doch schon wenig später war sie wie ausgewechselt.
Von jetzt auf gleich sprang sie auf und stürmte mit einem laut geschluchzten "Maamaa!" zur Bühne. Die Dame nahm sie tröstend auf den Arm.
Lange Zeit redeten sie, um zu verstehen worüber war ich zu weit weg. Erst als die Dame in meine Richtung sah und Kira auf mich zeigte ging auch ich nach vorne.
Beide lächelten mich freudig an.
Es war nicht viel was ich mit Kiras Mutter besprach, im Grunde stellte sie mir nur eine einzige Frage.: "Ich kann Kira leider nur zu Heilig Abend besuchen. Aber sie sagt sie mag dich sehr, weil du ihr so viel gezeigt hast. Sie möchte das du in meiner Abwesenheit als ihre Pflegemutter bei ihr bleibst....Das ist ihr großer Weihnachtswunsch. Würdest du das tun?"
Ich überlegte nicht lange und sagte zu. Jetzt hatte wirklich jeder seinen Weihnachtswunsch erfüllt bekommen. Kira hatte ihre Mutter kennengelernt und ich hatte ein Zu Hause gefunden...
Und so klang es noch viel schöner ...das
"Fröhliche Weihnachten"
der versammelten Dorfbewohner.
Ende
©Sabrina Goebel