Die einsame Kerze

 

Jedes Jahr das selbe.

Die Weihnachtszeit nahte und die Menschen kauften Dekorationen, Tannenbäume, Lichterketten und Kerzen.

Und wie jedes Jahr blieb ich allein zurück. Erst waren die immer gut gelaunten Dekorationen vom benachbarten Verkaufstisch verschwunden, dann gingen die Tannenbäume draußen vor dem Laden. Am Tag zuvor hatten sie nun auch noch meine Freunde die Lichterketten und alle meine Verwandten aus den Regalen gerissen.

Ich gebe zu meine äußere Wachsschicht war schon recht abgegriffen von den Kindern die mich angefasst und dann doch wieder zurückgelegt hatten.

Auch mein Docht war ausgefranst und hatte einen Knick. Aber daran konnte ich nichts ändern. Rote Stumpenkerzen wie ich hatten nun mal keine Arme um sich zu frisieren.

Traurig sah ich vom mittleren Regal aus den anderen hinterher wie sie den Laden in großen Einkaufswagen verließen.

Ich stellte mich gedanklich schon darauf ein ausgemustert zu werden und am heutigen Tag noch in der Mülltonne zu enden.

Der Kalender an der Kasse zeigte es war der 1. Advent. Welche Ironie das doch war. Der 1. Advent und ich war die einzige Kerze im ganzen Laden.

Würde ich jemals die Wärme des Feuers spüren? Ich wusste es nicht.

 

Gerade hatte wieder eine Mutter mit ihrem Kind das Geschäft betreten.

Sie durchwühlte den Grabbeltisch während ihre kleine Tochter zielstrebig auf mein Regal zu ging.

Das Mädchen streckte die Finger aus und als sie mich streiften holte es mich aus den Schatten hervor ins schummerige Lampenlicht.

Sie betaste mich von oben bis unten. Die Mutter sah vom Grabbeltisch hoch.

"Lass sie liegen sie ist kaputt!", schalte sie ihre Tochter. Doch wieder erwarten dachte die Kleine nicht im Traum daran mich zurück zu legen.

Im Gegenteil. Ihr Griff verstärkte sich sogar noch als sie sich zu ihrer Mutter umdrehte. "Sie ist nicht kaputt!", warf sie ein, " Sie ist genau die Kerze die ich gesucht habe." Ihre Mutter rümpfte die Nase. "Aber Kind,",sagte sie streng, " diese Kerze ist am Docht ausgefranst und auch sonst komplett abgegriffen. Nicht zuletzt ist der Docht auch noch geknickt." Das kleine Mädchen grinste seiner Mutter frech ins Gesicht und drehte mich in seinen Händen hin und her.

"Mama, ich will diese Kerze! Sie ist auf ihre ganz eigene Art schön, weil sie einzigartig ist. Genau wie ich!", fuhr es die Frau an. Das Gesicht der Mutter war nun mit großen Kulleraugen bestückt  deren Tränen in Strömen über ihre Wangen rannen.

 

Zuerst verstand ich nicht warum die Frau weinte. Bis ich erkannte was ihre kleine Tochter gemeint hatte, nur durch einen kleinen Blick in ihr Gesicht...

Das Mädchen war blind. Nur durch ihr Tasten und die Aussagen der Mutter hatte sie sich fest dazu entschieden mich zu ihrer Adventskerze zu machen.

Stolz trug sie mich zur Kasse. Dort angekommen gab sie der Verkäuferin alle Münzen die sie und ihre Mutter mitgebracht hatten.

Doch es waren 10 Cent zu wenig. Das Mädchen weinte.

Da drückte ihr die Verkäuferin mich wieder in die Hand. "Ich will kein Mitleid.", schniefte die Kleine.

Die Verkäuferin schüttelte energisch den Kopf.: "Das mache ich nicht aus Mitleid. Ich habe dich vorhin beobachtet. Du bist ein starkes Mädchen und ich möchte dir diese Kerze schenken, weil mir scheint sie hat darauf gewartet das du kommst und sie abholst. Und ich finde auch sie ist genau so einzigartig wie ihr." "Ihr?", fragte das Mädchen. In diesem Moment legten sich zwei ebenso kleine Hände wie seine eigenen über seine Finger und mich.

Nur einen kleinen Moment dann berührten zögerliche Finger sein Gesicht.

"Hallo Viktoria.", sagte das blonde Mädchen am anderen Ende, "Ich heisse Amelie und ich bin auch einzigartig genau wie du."

Ein Ruck ging durch das Mädchen das anscheinend Viktoria hieß. Sie drückte mich Amelie in die Hand und wiederholte was sie zuvor bei ihr getan hatte auf Amelies Gesicht. Beide lachten.

 

Kurz darauf hielten mich die blinden Mädchen beide gleichzeitig in den Händen und es geschah ein wahres Adventswunder.

Ich spürte wie mir wärmer wurde. Die Wärme beider Mädchen schaffte es ganz ohne Streichholz meinen Docht zu entzünden.

Ich brannte. Doch nicht etwa weil mich ein Stückchen Holz entzündet hatte sondern aus Liebe und Vertrauen.

Niemals werde ich die strahlenden Gesichter der Mädchen und die erstaunten Blicke der beiden Mütter vergessen so schön war es.

 

 



©Sabrina Goebel

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